Moldau, ein „gekapertes“ Land

Korruption und politisches Unvermögen haben das kleine Moldau in eine ernsthafte Bedrohung für den gesamten europäischen Kontinent verwandelt.

Armenviertel Europas

Dass Moldau ein bettelarmes Land ist, wissen wir „IGFMler“ seit seinem tiefen Fall nach dem Ende des kommunistischen Sowjetsystems. Innerhalb des Sowjetsystems war das winzige Moldau beispielsweise ein wichtiger Weinlieferant für die Sowjetunion, also für knapp ein Fünftel der Erdoberfläche. Moldau, nicht mal so groß wie Nordrhein-Westphalen, gehörte zu den wohlhabendsten Ländern der ehemaligen Sowjetrepubliken. Aber das ist lange her. Seit über zwanzig Jahren befindet sich das Land wirtschaftlich in freiem Fall.

IGFM Sektion in Moldau

Unsere Vorsitzende der Sektion Moldau hatte damals nach dem Zerfall der Sowjetunion ihre akademische Laufbahn beendet und sich allein dem demokratischen Aufbau ihrer Heimat verschrieben. Mit viel Enthusiasmus und Engagement hat sie eine Sektion der IGFM gründen, registrieren und aufbauen können. Die Menschenrechtsarbeit unserer Sektion Moldau lief auf allen Ebenen: Rechtsberatung für Arme (über 20.000 Fälle dokumentarisch festgehalten), Humanisierung

des Strafvollzugs, Hilfsprojekte für Frauen, Rechtsaufklärung für Aids-Kranke, Implementierung und Kontrolle von Gesetzen im Bereich der Menschenrechte, humanitäre Hilfe, Rechtsaufklärung, Aufbau einer bürgerlichen Gesellschaft und vieles mehr. Die Sektion hat der IGFM in Moldau einen großen Namen gegeben, und wir haben sie dabei nach besten Kräften unterstützt.

Viele Rentner erhalten Renten unter dem Existenzminimum und sind nicht in der Lage, die Rechnungen für Strom und Heizung zu zahlen. Es gab Fälle, in denen Menschen in ihren eigenen Häusern erfroren sind. Foto: voxpopuli.kz

Seit Jahren nun berichtet die Sektion Moldau allerdings nicht mehr nur von dem humanitären Trauma ihres Landes, sondern auch von der politischen Katastrophe. Seit Jahren warnt die IGFM Sektion Moldau europäische und internationale Gremien, die alle die politische europäische demokratische Entwicklungsrichtung in Moldau lobten. Sie warnte Europa vor der Forcierung des Assoziierungsabkommens mit Moldau. Warum?

„Nach Fila(s)t –  Plathotniuc in den Knast“
Vlat Filat, ehem. Ministerpräsident  wurde im Oktober 2015 im Zusammenhang mit dem Verschwinden von 1 Milliarde Euro aus den moldauischen Bankensystem inhaftiert. Vladimir Plahotniuc, Vors. der Demokratischen Partei und Oligarch wird als eigentlicher Drahtzieher des Milliardendiebstahls vermutet. Foto: IGFM-Moldau

Politisches Chaos- gekapertes Land

Die Sektion berichtete immer wieder von der Korruption auf allen Entscheidungsebenen, von „Pseudo-Demokraten“, die EU- Finanzhilfen nur in ihre eigene Tasche wirtschafteten,  von immer größerer Armut, von Menschenrechtsverletzungen wie Verfolgung von NGOS, polizeilicher Massenverfolgung (jeder zehnte Bürger!), Misshandlung und Folter in Haftanstalten, völliger Rechtswillkür, fehlender Meinungs- und Pressefreiheit, von einem traumatisierten Land. Sie sprach von einem „sachwatschennoj stranje“, einem „gekaperten Land“, was sich im Deutschen nicht so einfach übersetzen lässt und soviel bedeutet wie dass alle politischen Einflusssphären von privaten Interessengruppen, meist oligarchischen Strukturen, annektiert wurden. Oder kurz mafiöse Gruppen das Land beherrschen.

Erschwerend zur Annektion von einflussreichen Positionen sowie der Annektion ganzer Territorien (Transnistrien und Gagausien) innerhalb des ohnehin kleinen Moldaus,  kommen äußere machtpolitische Einflussinteressen von Rumänien, Russland und den USA hinzu.

Das Bild, das die IGFM Sektion über die letzten Jahre hinweg zeichnete, war so schwarz und so gegensätzlich zu dem der europäischen Entscheidungsgremien, dass selbst uns, obgleich wir unseren Sektionen vertrauen und die Situation der postsowjetischen Länder gut kennen (s. auch unsere Dokumentation „Menschenrechtslage in der ehemalige Sowjetunion“ als Download auf igfm.de), die Vorstellungskraft dafür nicht reichte.

Ernsthafte Bedrohung für Europa

Und doch war kein Wort der IGFM Sektion Moldau übertrieben. Im Gegenteil. Das letzte Jahr offenbarte sich die moldauische Katastrophe in vollem Ausmaß und konnte nun vor europäischen und internationalen Gremien nicht mehr vertuscht oder beschönigt werden.

4 Regierungswechsel und 5 Ministerpräsidenten innerhalb eines Jahres, systematischer Bankenbetrug in Milliardenhöhe, Schmiergelder in zweistelligen Millionenbeträgen und Mafiakämpfe auf der oberen Ebene und ein hungerndes, ausgebeutetes, rechtloses Volk von gerade mal 3 Millionen Menschen ganz am Boden. Von dort schafft es sich nun mit letzter Kraft auf die Straße, um um Hilfe zu schreien.

Mehr und mehr wird die moldauische Katastrophe wahrgenommen, werden die Hilfeschreie gehört und so musste bspw. Thorborn Jagland, der ehemalige Generalsekretär des Europarates,  im letzten Jahr konstatieren, dass sich Moldau zu einer ernsthaften Gefahr für den gesamten europäischen Kontinent gewandelt habe.

Wir alle wissen, dass die Europäische Union derzeit viele ernsthafte Probleme zu bewältigen hat. Das ist sicher auch ein Grund dafür, dass das kleine Moldau in den Hintergrund geraten war, dass man nur allzu gern hier ein europäisches Erfolgserlebnis gehabt hätte und dass das Ausmaß dieser Katastrophe einen irgendwie kalt erwischt hat.

Doch gerade weil wir unseren kleinen, armen Nachbarn nicht mit entsprechender Sorgfaltspflicht wahrgenommen, ist es jetzt umso wichtiger auf die Hilfeschreie aus Moldau zu reagieren.

Foto: wikimedia.commons
Demonstration in Chisinau. Foto: Strada A. Pușkin, Wikimedia Commons
Michael Brand zur Unterstützung des IGFM Jugendforums der Östlichen Partnerschaft.
December 2015. Foto: IGFM

Danke an Michael Brand und sein Team

Ein großer Dank vor diesem Hintergrund geht auch noch einmal an den Vorsitzenden des Bundestagsauschusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe, den Abgeordneten Michael Brand, der sich unbürokratisch und direkt für unsere IGFM Sektion Moldau eingesetzt und sie aus einer akuten Notlage gerettet hat.

Dr. phil. Carmen Krusch-Grün
IGFM-Eurasien