Rund hundert Personen versammelten sich auf dem historischen Römerberg in Frankfurt am Main, um das Ende der “letzten Diktatur in Europa” und die Freiheit aller politischen Gefangenen in Belarus zu fordern. Organisiert von der IGFM haben sich viele deutsche Abgeordnete, Wissenschaftler und Mitglieder der Zivilgesellschaft zusammengeschlossen, um für das belarussische Volk einzustehen. Bild: Valentin Popa.

Für Demokratie und Freiheit in Belarus

Gemeinsam mit Vertretern der belarussischen Zivilgesellschaft, Politikern verschiedener Parteien und Osteuropa-Experten hat die Internationale Gesellschaft für Menschenrechte (IGFM) am Samstag ein Zeichen ihrer „uneingeschränkten Solidarität“ mit den politischen Gefangenen und anderen Verfolgten unter dem Regime Alexander Lukaschenkos auf dem Frankfurter Römerberg gesetzt. Die Nachweise und Zeugnisse über schärfste Repression, brutalste Gewaltanwendung, Folter und Tötungen durch staatliche Sicherheitskräfte sind erdrückend. Über 500 Menschen sind seit einem Jahr ohne anwaltliche Vertretung weggesperrt. Das Schicksal der belarussischen Demokratiebewegung ist dabei von entscheidender Bedeutung für die Sicherheit und Zukunft der EU, mahnt die IGFM an.

Sieg der belarussischen Demokratiebewegung von existenzieller Bedeutung für Putin

Der belarussische Diktator wäre ohne Putin und seine Bündnispartner so gut wie machtlos. Ein Sieg der Demokratiebewegung im Bruderland Belarus, der vom Aufbau einer  demokratischen Regierung gefolgt wäre, würde die unterdrückte Demokratiebewegung in Russland zweifelsfrei wieder aufflammen lassen, so die IGFM. Während die eigenen Kritiker, wie Maria Kolesnikowa, durch das belarussische Regime verleumdet und weggesperrt werden, wird die EU offen als Wertegemeinschaft verhöhnt. So amüsierten sich der belarussische Diktator und Putin im Fernsehen über den „Gemütsausbruch“ der EU, nachdem ein belarussischer Kampfjet im europäischen Luftraum ein Verkehrsflugzeug kaperte um den 25jährigen Journalisten Roman Protassewitch festzunehmen. „Mitten durch Europa findet daher seit einem Jahr das Tauziehen von Demokratie gegen Diktatur statt“, betont Dr. Carmen Krusch-Grün, Osteuropaexpertin der IGFM.

Ulli Nissen, Abgeordnete der SPD im Bundestag, daneben Valerio Krüger, IGFM-Referent für Öffentlichkeitsarbeit. Bild: Valentin Popa/IGFM

Die SPD-Bundestagsabgeordnete Ulli Nissen sprach im Namen ihrer Partei: „Wir stehen an der Seite derer, die sich in Belarus für Freiheit und Demokratie einsetzen.“ Sie bewunderten den Mut und die Entschlossenheit, mit der diese Menschen dem autokratischen Regime die Stirn bieten. Nissen sprach sich für die Fortsetzung der EU-Wirtschaftssanktionen aus, um konkrete Forderungen durchzusetzen. „Die Existenz eines despotischen Willkürregimes in Europa dürfen wir im 21. Jahrhundert nicht weiter dulden.“ Die Lage im Land sei besorgniserregend. Auf eine Welle öffentlicher Proteste gegen die gefälschte Wiederwahl von Alexander Lukaschenko bei den Präsidentschaftswahlen habe der Diktator hart durchgegriffen. „Seither hat die Unterdrückung der Demokratiebewegung in Belarus unvorstellbare Ausmaße angenommen“, sagte Nissen weiter bei der Kundgebung. Oppositionelle Politiker, Demokratieverfechter und kritische Journalisten und sogar Kinder und Jugendliche ließ er einsperren, wie etwa bei der friedlichen Demonstration „Marsch der Frauen“. „Zehntausende wurden inhaftiert, geschlagen und ins Exil gezwungen“, beklagte die Politikerin. Viele von ihnen seien ohne Verfahren seit langen Monaten in überfüllten Gefängniszellen untergebracht. Nissen erinnerte an das Schicksal von Marija Kolesnikowa: Nach einem Schauprozess befand ein Gericht in Minsk Anfang September die Oppositionelle der Verschwörung zur verfassungsfeindlichen Machtergreifung für schuldig und verurteilte sie zu elf Jahren Straflager. Kolesnikowa hatte lange in Stuttgart als Kulturmanagerin gearbeitet und ist zu einer Symbolfigur der Protestbewegung geworden. Auch erinnerte Nissen an die Entführung des Journalisten und Bloggers Roman Protassewitsch und seiner Freundin durch die erzwungene Landung eines Passagierflugzeugs in diesem Mai.

Vis-à-vis der Frankfurter Paulskirche als Symbol der frühen demokratischen Bewegung in Deutschland betonte Martina Feldmayer, Landtagsabgeordnete der Grünen, dass es nach der manipulierten Wahl im vorigen Jahr in Belarus eine Aufbruchstimmung in der Zivilgesellschaft gegeben habe, die Hunderttausende zum Protest antrieb. Die Demonstrationsteilnehmer hätten Mut bewiesen, indem sie auf die Straße gingen und zeigten, dass sie einen Wandel wollten. „Sie möchten eine friedvolle Veränderung der Machtverhältnisse erreichen und davor habe ich größten Respekt.“ Die EU-Sanktionen müssten mutiger und schärfer werden. „Wir dürfen die Menschen in Belarus nicht im Stich lassen“, appellierte die Slawistin mit Verweis auf die demokratischen Werte des heutigen Europas und in der Geschichte Frankfurts.

Martina Feldmayer, Landtagsabgeordnete Bündnis 90/Die Grünen. Bild: Valentin Popa/IGFM

„Wir stehen parteiübergreifend im Europäischen Parlament an der Seite der Menschen in Belarus“, betonte der CDU-Europaabgeordnete Michael Gahler. Das zeige, wie breit die Unterstützung für den gerechten demokratischen Kampf dieser Menschen in Belarus sei. „Wir sind es im Europäischen Parlament, die den Ministerrat, den Auswärtigen Dienst und die Mitgliedsstaaten dazu bewegen, dass sie jetzt auch wirklich das fünfte Sanktionspaket auflegen.“ Er zeigte sich zuversichtlich, dass diejenigen, die aufgrund ihrer Meinungsäußerung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden wären, diese Zeit nicht absitzen müssten. Die Sanktionen dürften sich aber nicht nur auf künftige Verträge, sondern auch auf aktuelle Vereinbarungen beziehen. Insbesondere kritisierte er scharf: „In verbrecherischer Weise instrumentalisiert Lukaschenko arme Flüchtlinge aus dem Irak, um Litauen, Lettland und Polen unter Druck zu setzen, was eine doppelte Unmenschlichkeit bedeutet.“ Das belarussische Regime fliegt sie dorthin und treibt sie ins Grenzgebiet zur EU. In Litauen ankommende Flüchtlinge unterstützt die dortige IGFM-Sektion mit humanitärer Hilfe. „Wir wollen dafür sorgen, dass das nächste Sanktionspaket noch wirksamer wird“, versprach Gahler.

Michael Gahler, Europaabgeordneter der CDU/EVP. Bild: Valentin Popa/IGFM

„Wir, die belarussischen Frauen, wollen in einem unabhängigen, demokratischen Belarus leben, und wir brauchen die Solidarität und Entschlossenheit der Europäischen Union sowie die Unterstützung in diesem Kampf für unser Recht auf Selbstbestimmung und das Recht, in einem freien Land ohne Gewalt zu leben“, bekannte Olga Karatch, Gründerin der belarussischen Menschenrechtsorganisation Nash Dom (Unser Haus). Die Opposition zahle einen hohen Preis für ihren Einsatz pro Freiheit und Demokratie: Rund 200.000 Bürger ihrer Heimat lebten Exil und ungefähr 40.000 seien Gewalt ausgesetzt. Ihrer Vereinigung seien rund 700 politische Gefangene bekannt. „Uns liegen aber noch keine genauen Kenntnisse darüber vor, wie viele Menschen umgebracht, vergewaltigt oder entführt wurden, darunter sogar Kinder“, sagte sie unter Seufzen. „Ich habe einen Traum, dass wir bald Teil der westlichen Zivilisation sein werden. Wir wollen nicht zur russischen Welt gehören.“

Olga Karatch, Gründerin der belarussischen Menschenrechtsorganisation Nash Dom: „Ich habe einen Traum, dass wir bald Teil der westlichen Zivilisation sein werden. Wir wollen nicht zur russischen Welt gehören.“ Bild: Valentin Popa/ IGFM.

„Es geht nicht, dass wir an dieser Wiege der Demokratie zusehen, wie die Würde der Menschen in Belarus verletzt wird“, rief Frankfurts neugewählte Bürgermeisterin und Dezernentin für Diversität, Antidiskriminierung und gesellschaftlichen Zusammenhalt Dr. Nargess Eskandari-Grünberg unter Verweis auf die gegenüberliegende Paulskirche, wo 1848/49 die erste Volksvertretung für ganz Deutschland tagte. Sie bewundere den Mut der großen Zahl von Demonstranten in Belarus, unter Gefahr für Freiheit und Leben für Demokratie und Menschenrechte eingetreten zu sein. „Liebe Menschen in Belarus, wir sind stolz auf Euch“, lautete ihre Botschaft an sie.

Die Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg: „Liebe Menschen in Belarus, wir sind stolz auf Euch!” Bild: Valentin Popa/ IGFM.

Professor Thomas Schirrmacher, Präsident des Internationalen Rates der IGFM, sagte: „Demokratie ist seit jeher von unten nach oben durchgesetzt worden.“ Die demokratisch gewählten Politiker international sollten daher ihre Macht dazu einsetzen, Diktator Lukaschenko ein „Stoppsignal“ zu senden. Er betonte, dass die Menschenrechtsorganisation in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion mit Sektionen vertreten sei, so auch in Belarus. „Wir arbeiten mit ihnen seit Jahrzehnten zusammen. Sie sind in großer Not und einige haben schon das Land verlassen.“ Er lud abschließend zu einer Schweigeminute für diejenigen Oppositionellen in Belarus ein, die ihr Leben für die Freiheit ihrer Nation eingesetzt haben.

Professor Dr. Dr. Thomas Schirrmacher, Präsident des Internationalen Rates der IGFM. Foto: Valentin Popa/IGFM.

Peter Heidt, Bundestagsabgeordneter der FDP, zeigte sich gegenüber der russischen Einmischung zu Gunsten Lukaschenkos besorgt und forderte ein stärkeres Vorgehen von Seiten Deutschlands. Die Demokratiebewegung in Belarus wolle die FDP durch „verstärkte Informationsangebote der Deutschen Welle, durch finanzielle Unterstützung zu Gunsten der Zivilgesellschaft und mit Visumserleichterungen unterstützen“, so Heidt weiter. Auch die EU müsse die Signalwirkung ihrer Sanktionen aufrechterhalten und darüber diskutieren, diese zu verschärfen, so der Politiker aus dem nahen Bad Nauheim. „Im Rahmen unserer Bemühungen die Zivilbevölkerung zu unterstützen kommt aber auch dem Patenschaftsprogrammen der IGFM und des Deutschen Bundestages eine wirklich besondere Bedeutung zu“. Über das Programm „Parlamentarier schützen“ hat Peter Heidt die Patenschaft für Viktor Babariko übernommen.

Peter Heidt, Abgeordneter der FDP im Bundestag: “Dem Regime ist jedes Mittel Recht um sicher zu stellen, dass sich in dem Land ein totales Schweigen ausbreitet und das die Zivilgesellschaft nicht mehr vorhanden – nur noch verbrannte Erde übrig ist. Bild: Valentin Popa/ IGFM.

Karyna Shchamialiova vom Verein RAZAM (Gemeinsam) forderte sofortige Freilassung der politischen Gefangenen, das Ende der Gewalt und Verfolgung sowie demokratische Wahlen in Belarus. „Mit Blendgranaten, Schlagstöcken und Folterungen in Gefängnissen hat Lukaschenko die belarussische Demokratiebewegung erstickt. Jedoch kämpfen wir weiter, weil wir wissen, dass es keine Zukunft für ihn und seine Schlägertruppen gibt.“ Nahezu alle gemeinnützigen Organisationen, darunter Bildungseinrichtungen, Behinderten- und andere Sozialverbände seien verboten worden. Der Diktator sei zu einem Tyrannen geworden, der nicht einmal vor Entführungen und Morden von Oppositionellen im Ausland zurückschrecke.

Karyna Shchamialiova vom Verein RAZAM, Bild: Valentin Popa/IGFM.

Omid Nouripour, Bundestagsabgeordneter und außenpolitischer Sprecher der Partei Bündnis 90/ Die Grünen machte in seiner Ansprache deutlich, dass „wir es den Menschen in Belarus schuldig sind, sie nicht zu vergessen“. Nouripour, der für den politischen Gefangenen Sergey Petruchkin eine politische Patenschaft übernommen hat, appellierte an den einzigen Schutz, den die verfolgten Menschen in Belarus haben: die Aufmerksamkeit. Der Frankfurter Politiker hob zwei zentrale Punkte der unterzeichneten Resolution hervor, erstens gelte es die Wahl nicht anzuerkennen und zweitens müssten die politischen Gefangenen endlich freigelassen werden. Darüber hinaus stellte Nouripour deutlich fest, dass es nicht nur die Aufmerksamkeit und die Freilassung der Gefangenen seien, die jetzt zählen, sondern dass es um politischen Druck ginge: „Es darf keine Straffreiheit geben, Lukaschenko und seine Schergen müssen wissen, dass sie nicht bis zum Ende ihres Lebens friedlich, freiheitlich und im Wohlstand lebend können, und nicht werden büßen müssen, für all die Verbrechen die sie begangen haben, deshalb ist das Dokumentieren der Verbrechen so wichtig, deswegen ist das Beharren darauf, dass sie nicht einfach so davonkommen werden wichtig, deswegen ist es wichtig, dass die europäischen Staaten zusammenstehen.“ Nouripour bedankte sich explizit bei der Belarussin Olga Karatch, ohne deren jahrzehntelange Arbeit er nicht auf dieser Bühne stehen würde. Diesen mutigen Frauen beizustehen sei der Auftrag für alle Europäer in diesen Tagen, die Farben der belarussischen Demokratiebewegung seien die Farben der Freiheit in Europa heutzutage, so Nouripour.

Omid Nouripour, MdB und außenpolitischer Sprecher, Bündnis 90/Die Grünen. Bild: Valentin Popa/ IGFM.

Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa, verglich aus historischer Perspektive die aktuelle Situation in Belarus mit der in Polen von 1989. „Wir überschätzen die Stabilität dieses Regimes. Wenn wir aus deutscher Perspektive oder aus osteuropäischer eine Sache gelernt haben, dann, dass wir immer dazu neigen, (und die Diktatoren machen es selbst) die Stabilität und die Stärke ihrer Ordnung zu überschätzen. Das haben wir 1989 gesehen, wie schnell dann Polen in sich kollabiert ist.“ Sapper appellierte daher an alle, nicht aufzugeben, geduldig zu sein und keine Verzweiflung an den Tag zu legen. Der Osteuropaforscher verwies auf den Erfolg der Protestbewegungen in der DDR und Ungarn „Wir haben es in Ungarn gesehen, wir haben es selbst in der DDR ganz zum Schluss gesehen, die auch versucht haben mit Stasi und anderen Repressionsinstrumenten sich an der Macht zu halten.

[…] Wenn wir aus der historischen Perspektive das Vorbild Polen nehmen, sehen wir nämlich, dass die belarussische Situation keineswegs besonders schwierig und auch keineswegs besonders hoffnungslos ist.

Manfred Sapper, Chefredakteur der Zeitschrift Osteuropa. Bild: Valentin Popa/IGFM

 

Mitglieder des Kulturvereins Belarus e.V. tragen ein Gedicht vor Bild: Valentin Popa/IGFM

Die Kundgebung färbte den Frankfurter Römerberg in die Farben Rot und Weiß und sendet ein starkes Signal der Solidarität zu allen Belarussinnen und Belarussen in Europa. „Wir stehen in Solidarität mit allen politisch Verfolgten und werden die Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit vereinten Kräften offenlegen und bekämpfen“, resümiert Valerio Krüger, IGFM-Pressereferent. Gemeinsam mit den Mitorganisatoren Kulturverein Belarus e.V. und der Landtagsabgeordneten Martina Feldmayer sowie ihrem Team, lässt sich zurecht sagen, dass es eine sehr gelungene Veranstaltung war. Die IGFM bedankt sich bei allen ehrenamtlichen Helfern, sowie Einzelpersonen und Firmen, die die Kundgebung materiell und finanziell unterstützt haben.

 

Weitere Eindrücke der Kundgebung

Bilder: Valentin Popa/ IGFM