JAHRES- UND MITGLIEDERVERSAMMLUNG 2021

Erinnerung an die kommunistischen Diktaturen: Warnungen vor dem Vergessen

 

49. Jahrestagung am 4./5. September 2021 in Bonn

Eröffnung der Jahreshauptversammlung durch den Vorsitzenden Edgar Lamm

Markus Meckel, Stiftungsratsvorsitzender der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und von April bis August 1990 Außenminister der DDR, bezeichnete im Rahmen der IGFM-Tagung die Erinnerung an die Vergangenheit als „nationale Aufgabe“ und „Dienst an der Gesellschaft“. Er schilderte die Gründung der russischen Organisation „Memorial“ durch Dissidenten im Zuge von „Glasnost“ und „Perestroika“, die der damalige Generalsekretär der UdSSR, Michail Gorbatschow, zu Prinzipien seiner Politik ersonnen hatte. Den Gründern sei es nicht allein um Demokratisierung, Partizipation und Recht gegangen. „Auch sollte die von Terror und Entwürdigung geprägte Vergangenheit dem Vergessen und Verdrängen entrissen werden.“

In der DDR begann die Aufarbeitung mit der friedlichen Revolution 1989. Der Zentrale Runde Tisch wurde am 7. Dezember 1989 eingerichtet. Dort sprachen Vertreter aller Parteien und Gruppierungen über die Neugestaltung der Gesellschaft sowie die Durchführung freier, demokratischer und geheimer Wahlen.

Markus Meckel, Vorsitzender des Stiftungsrates der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur

Meckel, im Oktober 1989 Mitbegründer der Sozialdemokratischen Partei der DDR, erinnerte an die Gemeinsame Erklärung aller Fraktionen der 10. DDR-Volkskammer, verabschiedet bei ihrer 2. Sitzung am 12. April 1990. Diese Erklärung enthielt die Bekenntnisse sowohl zur Mitverantwortung für die Zeit des Nationalsozialismus wie auch zur Mitschuld an der Niederschlagung des „Prager Frühlings“ 1968 durch die völkerrechtswidrige militärische Intervention. Die Parlamentarier brandmarkten zudem die innerdeutsche Grenze als menschenverachtend.

Meckel sagte: „Wir waren der Überzeugung, dass am Anfang der Arbeit dieses demokratisch gewählten Parlamentes der DDR eine Erklärung zur Geschichte stehen sollte.“ Nachdem sich die SED aus der Verantwortung für die Lasten der deutschen Geschichte gestohlen und diese der Bundesrepublik zugeschoben hatte, hätten sich die Abgeordneten mit Beginn des Aufbaus demokratischer Strukturen der Verantwortung gestellt, die den Deutschen aus der belasteten Geschichte erwachse. Die Aufarbeitung sei von den Volksvertretern der DDR initiiert worden und nicht etwa von westlichen Politikern.

Prof. Dr. SHIEH, Jhy-Wey, Repräsentant von Taiwan, Taipeh Vertretung in der Bundesrepublik Deutschland

Zwischen 1992 und 1998 beschäftigten sich zwei Enquete-Kommissionen des Deutschen Bundestages mit der Geschichte der SED-Diktatur und deren Folgen. Auf Empfehlung der zweiten Kommission verabschiedete der Deutsche Bundestag das Gesetz über die Errichtung der „Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur“, die im Herbst 1998 ihre Arbeit aufnahm. Der Beschluss kam über Parteigrenzen hinweg zustande.

Eine große Herausforderung erkennt Meckel darin, dass über die Bewertung des Kommunismus kein Konsens in Deutschland und Europa bestehe – anders als mit Blick auf den Nationalsozialismus. „Dass die Verbrechen des Kommunismus bagatellisiert werden, erlebe ich in Deutschland und im Rest Europas bis heute.“ Es ginge nicht allein um die Aufarbeitung des Unrechts im SED-Staat, sondern auch darum, einen Zusammenhang zu Verbrechen im Namen dieser Ideologie über die Grenzen Deutschlands hinaus herzustellen. Der Einsatz für Menschenrechte und die Aufarbeitung der Geschichte hängen Meckel zufolge eng miteinander zusammen – beide Aufgaben betreffen die Würde des Menschen.

Birgit Schlicke war politische Gefangene der DDR und im Frauenzuchthaus Hoheneck inhaftiert.

Birgit Schlicke verdeutlichte als ehemalige politische Gefangene des SED-Staats, wie wichtig eine Aufarbeitung von staatlichem Unrecht sei. Ihre Familie stellte 1985 einen Antrag auf Ausreise aus der DDR. In der Folge gerieten alle Familienmitglieder unter Druck. Die damals 16-Jährige weigerte sich, sich von ihrer Familie loszusagen. Schließlich wurde sie von der Schule verwiesen: Es sei nicht mehr „ökonomisch“, sie weiter auszubilden. Auch eine Lehrstelle blieb ihr verwehrt. Als sich die Situation für die Familie 1987 weiter zuspitzte, verfasste der Vater schließlich einen Brief an die IGFM in Frankfurt, den die Tochter Birgit abtippte und den sie aus der DDR schmuggeln ließen.

„Einen Tag nach meinem 19. Geburtstag verschwand mein Vater“, erinnerte sich Birgit Schlicke. Vier Tage später, am 3. März 1988, wurde auch sie festgenommen. Monatelang versuchte die Stasi vergeblich, sie zu Geständnissen zu drängen. „Sie sagten mir fast jeden Tag, dass die IGFM eine Feindorganisation sei, die die DDR zugrunde richten wollte“, berichtete Schlicke weiter. Weil sie sich auf diese eingelassen hatten, wurden Vater und Tochter hart bestraft. „Ich wehrte mich dagegen, mit Mörderinnen und KZ-Aufseherinnen auf eine Stufe gestellt zu werden.“

Dr. phil. Carmen Krusch, Osteuropaabteilung der IGFM

Ihr Prozess war eine Farce. Das Urteil stand schon vorher fest. Sie wurde zu zweieinhalb Jahren Haft verurteilt, die sie im Frauengefängnis Hoheneck verbringen sollte, bei militärischem Drill und harter Arbeit. Der Lauf der Geschichte kam ihr zur Hilfe. Am 10. November 1989 durften die Gefangenen im Fernsehen Nachrichten schauen und erfuhren vom Fall der Mauer am Tag zuvor. Ziemlich bald nach der Freilassung fasste Birgit Schlicke den Entschluss, ihr Schicksal in einem Buch aufzuarbeiten. „Mir war bald klar geworden, dass ich eine gewisse Verpflichtung als Zeitzeugin habe“, erklärte sie. Schlicke erinnerte an das erste Unrechtsbereinigungsgesetz von 1992 mit dem Ziel, Opfer politischer Justiz zu rehabilitieren und zu entschädigen. Zwei Jahre darauf folgten dann das berufliche und das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz. „Normalerweise sollte auch eine strafrechtliche Verfolgung der Täter stattfinden“, sagte Schlicke. Es sei dramatisch, dass dies in Deutschland nicht umgesetzt wurde. „Die Täter sind unter uns“, kritisierte Schlicke.

Zur Aufarbeitung gehöre auch wissenschaftliche Forschung, Lehre an Universitäten und Schulen sowie Medienarbeit. Erschreckend lückenhaft sei das Wissen der jüngeren Generationen, die die DDR nicht mehr erlebt haben. Als Zeitzeugin stoße sie in Schulklassen auf reges Interesse. Um die jungen Menschen zu sensibilisieren, komme der Errichtung und Pflege von Gedenkstätten an den Tatorten der staatlichen Verbrechen eine Schlüsselrolle zu. Ehemalige Gefangene hätten gerade noch verhindern können, dass das Frauengefängnis Hoheneck zu einem erlebnisgastronomischen Betrieb umgewandelt wird.

Von Michaela Koller.

 

 

Die IGFM hat sich jahrzehntelang für politisch Verfolgte in der DDR eingesetzt, während dort Menschen- und Persönlichkeitsrechten keine Beachtung geschenkt wurde. Doch auch jetzt noch nach dem Mauerfall ist die Aufarbeitung ein wichtiges Thema.

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Die IGFM informiert im Rahmen ihrer Presse- und Öffentlichkeitsarbeit über Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen und ruft zu Veranstaltungen und Aktionen auf. Mitglieder und Interessierte sind herzlich eingeladen, sich bei den Aktionen zu beteiligen.

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Vom 13.-14. März 2020 fand im Gustav-Stresemann-Institut in Bonn die 48. Jahreshauptversammlung der IGFM statt. Eröffnet wurde die Versammlung am Freitagabend vom Vorsitzenden Edgar Lamm zum Thema „30 Jahre nach dem Fall der Mauer – Menschenrechtsarbeit für Freiheit und Frieden“

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