Ludmila Denisowa: „Sie sind nicht wie wir, verstehen Sie? Sie werden nicht für das Ihre und die Ihrigen kämpfen, wie wir jetzt kämpfen“

Seit Beginn des Krieges hat das Büro der Ombudsstelle der Leitung von Ludmila Denisowa erheblich an Arbeit zugenommen. Ukrainische Gefangene in Russland; Folter unserer Bürger durch Eindringlinge – Zerstörung, Folter, Vergewaltigung, erzwungene Deportation. All dies wird als Kriegsverbrechen für zukünftige Gerichtsverhandlungen aufgezeichnet und dokumentiert. Darüber hinaus befinden sich auf dem Territorium der Ukraine viele Kriegsgefangene der Russischen Föderation. In Zukunft werden alle gegen unsere Soldaten und Zivilisten ausgetauscht, aber jetzt gibt es so viele Russen, dass daran gearbeitet wird, ein spezielles Lager für sie zu schaffen. „Wir haben eine Reihe inaktiver Gefängnis-Kolonien. Jetzt lösen wir das Problem, indem wir eine von diesen wieder öffnen und an das Verteidigungsministerium übertragen“, erklärt Ludmila Denisowa.

Als sie über ihr Treffen mit gefangenen russischen Offizieren spricht, die sich (als gewöhnliche Häftlinge) an einem der Orte der vorübergehenden Haft befinden, verbirgt sie ihre Empörung nicht. „Sie beschwerten sich, dass sie eigentlich „Rauchen und Süßes“ wollten. Alles andere, was sie haben, sei in Ordnung. „Rauchen und Süßes!“ Sie fügt hinzu: „Einer der höheren Offiziere sagte mir ins Gesicht, dass er die Aufgabe hätte, Kiew in zwei Tagen einzunehmen. Während unseres Gesprächs war deutlich zu spüren: Er hätte gerne, dass ich an seiner Stelle wäre und nicht, dass ich ihn, sondern dass er mich verhört.

Dank ihrer Arbeit in diesen Tagen hat Denisowa viel gesehen – sehr viel. Aber wenn sie über Butscha spricht, zittert ihre Stimme. „Wenn Sie eine manikürte Hand aus dem Erdboden ragen sehen … oder einen herzförmigen Flicken aus beigem Strickstoff – und begreifen, dass dieser Stoff eindeutig Kinderkleidung ist … Da war ein Turnschuh … , ich hob ihn auf – Größe 33. Genau wie bei meiner Enkelin. Ich bin Ombudsfrau, aber wenn ausländische Partner fragen, wie sie uns helfen können, bitte ich zuallererst um Waffen, Waffen und Waffen für die Ukraine!“

Sonja Koschkina, Chefredakteurin von LB.ua, interviewte die Ombudsfrau der Ukraine, Ludmila Denisowa. (Übersetzung ins Deutsche: IGFM, Frankfurt)

 „Ihr Kommandant, Oberstleutnant, sah einen am Bein verwundeten Soldaten und erschoss ihn mit den Worten: „Verwundete Pferde werden erschossen“

Beginnen wir mit dem Thema Gefangene. Wie viele Ukrainer werden von Russen gefangen gehalten und wie viele gefangene Russen haben wir?

Ich kann Ihnen die genauen Zahlen nicht nennen – das ist wichtig für die Verhandlungen. Ein Teil der Kriegsgefangenen befindet sich in vorübergehenden Haftanstalten, wir prüfen ihre Haftbedingungen. Wir wissen auch, dass sich einige der russischen Kriegsgefangenen in anderen Einrichtungen der Streitkräfte der Ukraine befinden. Wenn wir diese Einrichtungen überprüfen, werden wir Daten über sie und ihre Haftbedingungen haben. Wir führen derzeit Überwachungsbesuche durch. Ich kann sagen, dass ich in Kiew mit eigenen Augen 34 Kriegsgefangene gesehen habe – 24 Gefreite und 10 Offiziere.

Festgenommene russische Fallschirmjäger in Nikolaew

Erzählen Sie uns bitte mehr über sie.

Ich habe persönlich mit ihnen gesprochen. Gemäß der Genfer Konvention müssen Offiziere und Soldaten getrennt verwahrt werden. Daher befinden sie sich in zwei Zellen mit 24 und 10 Personen. Ich ging zu ihnen und stellte mich vor. Fragte sie, wie es ihnen gehe. Sie antworteten, dass sie gerne „Süßigkeiten und Rauchen“ wollten, alles andere sei da. „Süßes“, sagte ich ihnen, „das gäbe es in der Russischen Föderation, und hier sei das Rauchen verboten.“ Ich war erstaunt, wie diese Soldaten der „zweitgrößten Armee der Welt“ aussahen. Sie trugen Gummistiefel. Ich dachte, sie hätten irgendwo ihre Schuhe gewechselt, bevor sie gefangen genommen wurden. Aber sie sagten nein – das sei ihre Uniform, „damit ihre Füße nicht nass würden“. Ansonsten gab es keine Überreste ihrer „Uniform“ mehr: Sie waren geflüchtet, der eine seit 3 Tagen, der andere seit einer Woche – dorthin, von wo sie in die Russische Föderation oder nach Belarus zurückkehren konnten. Und sie kamen in unsere Dörfer, sahen die ukrainische Flagge und ergaben sich. Fast alle 23 russischen Soldaten ergaben sich von selbst.

Die Kommunikation begann mit der Legende der bloßen Militärmanöver, die dann schnell in sich zusammenfiel. Ein Soldat erzählte schreckliche Dinge über die Haltung seiner eigenen Kommandeure ihnen gegenüber. Er sagte, als sie in einen Hinterhalt gerieten, sei etwas explodiert und alle seien geflohen. Nur eine Panzereinheit war dort. Ihr Kommandeur, ein Oberstleutnant, sah einen am Bein verletzten Soldaten und erschoss ihn mit den Worten: „Verwundete Pferde werden erschossen.“ Dann erkannte dieser Soldat, dass er rennen musste. Und als die Nacht kam, rannte er einfach davon. Es war der 25. Februar, und am 1. März ging ich in „irgendeine Stadt“, sah die ukrainische Flagge und ergab mich den Einheimischen.

Einige berufen sich auf ihr Statut, dass sie schwangere Frauen nicht erschießen dürfen. „Aber Ihr habt sie doch bombardiert“, sage ich. Und sie geben zu, dass sie es während der Verhöre gesehen haben (ukrainische Ermittler haben sie ihnen gezeigt. – S.K.). Wir haben gesehen, wie das (mobile Anmerk. ÜB) Krematorium in Armyansk funktioniert und es von Ort zu Ort transportiert.

Sie meinen ein mobiles Krematorium?

Ja. Die Ermittler zeigten sie auch. Sie zeigten Kühlmaschinenwagen mit Leichen (russischer Soldaten – S.K.), die niemand abholt. Sie selbst sagen, dass sie einmal, als sie sich zurückzogen und dann wieder in die Offensive gingen, sie sozusagen ihre eigenen Panzer zerstörten – weil ihnen nichts anderes übrig blieb, als vorwärts zu marschieren, sonst wären sie erschossen worden.

Ich sprach über ihre Rechte als Kriegsgefangene. Fragte sie, ob ihnen die Möglichkeit gegeben worden sei, ihre Verwandten anzurufen. Sie sagten ja, sie hätten angerufen, mitgeteilt, dass sie „in Sicherheit“ seien. Alle wurden auch medizinisch versorgt. Einige wurden operiert. Eine Person ohne Gliedmaßen, eine im Gipsverband. Ein anderer braucht tägliche Verbände, und er bekommt sie.

Ich sagte auch, dass ich ihre Verwandten anrufen könnte – was würden sie ihnen gerne mitteilen? Sie gaben Telefonnummern an. Dann gab es ein separates Gespräch mit Angehörigen.

Und interessant auch wie sich die Offiziere bei Ihrem Besuch verhalten haben?

Einer der Offiziere, ein Oberstleutnant, der einst am Tschetschenienkrieg teilgenommen hatte und jetzt den Dienst der Spezialeinheiten leitete, wurde ebenfalls verwundet. Er sagte, er habe die Aufgabe gehabt, in zwei Tagen Kiew einzunehmen. Sie versuchten dies, wurden aber am 25. Februar überfallen, verwundet und gefangen genommen.

Der Major, der Kommandeur eines Panzerregiments, wurde ebenfalls verwundet, aber von uns verarztet, er sprach dennoch nicht mit uns.

Der Kommandant der Aufklärungskompanie hatte versucht, aus mit etwas herauszubekommen, aber aus und bekommt man nichts heraus.

Der Oberleutnant sagte, er habe seit 2013 kein Fernsehen mehr geschaut. Als ich ihn fragte, woher er von „Entnazifizierung“ wüsste, sagte er, dass es einen Befehl gebe: Die Kommandeure seien davon überzeugt, dass sie in der Ukraine mit Blumen empfangen würden. Aber als sie den Widerstand der Streitkräfte der Ukraine sahen, wurde ihnen klar, dass weder jemals das ukrainische Militär niemals kapitulieren würde noch die Einwohner sich zu ergeben bereit sind.  Deshalb beschlossen sie, sich mit dem Leutnant zu ergeben, hatten aber keine Zeit, weil sie bereits gefangen genommen worden waren. Auch ein anderer Fähnrich hatte sich ergeben.

Keiner von ihnen sagte, dass sie irgendeine Art von Schutz brauchten oder dass sie unter Druck gesetzt wurden. Aber fast alle sagten, dass sie wegen der Verfolgung in ihrem Heimatland nicht nach Hause zurückkehren könnten. Sie verstehen, was sie erwartet, wenn sie dort  „eingeholt“ würden.

Wie viel gibt der Staat pro Tag für den Unterhalt eines Gefangenen aus?

Das ist je nach Standort unterschiedlich. Wo diese in Sicherheitsverwahrung sind – etwa 50 Griwna. Insgesamt so ca. 50-100 Griwna, genau wie auch bei unseren Häftlingen üblich. Es ist nicht viel. Es geht nicht ums Geld, sondern darum, dass wir Gefangene haben. Wir wissen, dass auch unsere Leute gefangen genommen wurden. Insofern ist es natürlich eine Frage des Gefangenaustauschs.

„Sie sind nicht wie wir, verstehen Sie? Sie werden nicht für das Ihre und die Ihrigen kämpfen, so wie wir auf dem Maidan gekämpft haben, so wie wir jetzt kämpfen.“

Wie funktioniert das mit der Erstellung der Listen für den Austausch von Kriegsgefangenen? Wer arbeitet daran: die Ombudsstelle, der SBU (Geheimdienst der Ukraine, Anm. ÜB)? Gibt es ein gemeinsames Zentrum?

Ja, das geschieht folgendermaßen: Wir haben eine kostenlose 24-Stunden-Hotline mit 32 Mitarbeitern, die täglich bis zu 1.000 Anrufe entgegennehmen. Wir arbeiten in vier Richtungen: Humanitäre Hilfe, dem Begleiten humanitärer Korridore, der Registrierung von Neugeborenen und Toten, wenn sich beispielsweise Angehörige an einem anderen Ort befinden. Aber die größte Zahl von Anrufen betrifft die Suche nach Vermissten- sowohl im militärischen als auch im zivilen Bereich. Wir haben bereits fast 6.500 solcher Anrufe für fast 15.000 Vermisste erhalten.

Wir zeichnen jede Geschichte als Kriegsverbrechen auf, weil es ein Kriegsverbrechen ist, Menschen zu entführen, sie gefangen zu nehmen. Darüber hinaus übermitteln wir alle Informationen und Materialien zu jeder Person, nach der Angehörige suchen, an das Gemeinsame Zentrum für die Freilassung gefangener und vermisster Personen. Alle Informationen fließen in dieses Zentrum. Die Leiter des Zentrums sehen, welche der Personen gefangen genommen wurden und dann wird auf höchster Ebene eine Austauschliste gebildet, natürlich mit Zustimmung der Gegenseite.

Auf ukrainischer Seite gab es eine Initiative für russische Mütter, die ihre Kinder aus der Gefangenschaft in der Ukraine holen wollten. Angeblich sollten sie an der Grenze zu Polen abgeholt, durch das ganze Land geführt und dann in Kiew an ihre Söhne abgegeben werden. Ist das in Arbeit oder nur eine Idee?

Es wäre in Arbeit, wenn die Betroffenen kommen würden. Ich habe mit den Eltern gesprochen, mit Ehefrauen von gefangenen Bürgern der Russischen Föderation, aber sie sagen, dass sie nicht kommen können, selbst diejenigen, die wollen. Einige sagen, dass ihre Kinder nur auf Manöver sind und jemand fragte, warum wir sie gefangen genommen haben und wann wir sie freilassen werden. Ein Häftling bat darum, seine schwangere Frau anzurufen, weil sie kurz vor der Entbindung stand und er zwei Wochen lang keinen Kontakt zu ihr hatte. Sie sagte, dass sie jeden Morgen zur Militäreinheit gehe und darum bitte, ihren Mann zurückzugeben. Es gab auch diejenigen, die fragten, was zu tun sei. Ich schlug vor, sich mit unserem Komitee der Soldatenmütter zusammenzuschließen, auf die Straße zu gehen und Druck auf Putin auszuüben, den Krieg zu beenden. Aber sie sind nicht so wie wir, Sie verstehen? Sie werden nicht für das Ihre und die Ihrigen kämpfen, wie wir auf dem Maidan gekämpft haben, wie wir jetzt kämpfen. Wenn wir von vermissten Person wissen, kennen wir die besonderen Merkmale eines Jeden, wir wissen, wen wir suchen. Wir suchen, auch auf dem Territorium der Russischen Föderation. Eine große Hilfe hierbei leisten Freiwillige.

Ist bekannt, wo unsere Kriegsgefangenen sind? Der zweite Austausch, bei dem 86 Soldaten, darunter auch Frauen, in die Ukraine zurückkehrten, fand in Brjansk statt. Kann man daraus schließen, dass sich viele unserer Militärs und Zivilisten offensichtlich in Belarus und nicht in Russland befinden?

Sie befinden sich sowohl in Belarus als auch in der Russischen Föderation. Unsere Gefangenen befinden sich zum Beispiel im Untersuchungsgefängnis in Kursk. Es gibt eine Bestätigung der Anzahl, aber wir werden jetzt nicht darüber sprechen, um niemandem zu schaden. Und was Brjansk angeht… Wenn Belarusen sagen, dass sie nicht an diesem Krieg teilnehmen, so ist das nicht wahr.

Wird Belarus für seine Handlungen rechtlich verantwortlich sein und wie?

Sicherlich. Belarus ist auch ein Kriegsverbrecher. Auch Belarus ist an der Überstellung unserer Kriegsgefangenen beteiligt. Sie dürften überhaupt nicht dort sein (in Weißrussland. – S.K.). Gemäß der Genfer Konvention über die Behandlung von Kriegsgefangenen müssen sie denselben Bedingungen wie andere Militärangehörige des Staates unterliegen, der sie gefangen genommen hat. Sie dürfen nicht demütigt werden, es darf kein Druck auf sie ausgeübt, auch kein psychologischer Druck. Und wir wissen – aus den Zeugnissen unserer zurückgekehrten Kriegsgefangenen -, dass ihnen schreckliche Dinge angetan.

Ukrainische Soldaten nach ihrer Entlassung aus der Gefangenschaft

Beim zweiten Austausch kehrten 15 Soldatinnen in die Ukraine zurück, denen unter anderem gewaltsam die Haare abgeschnitten wurden. Sie wurden gezwungen, sich in Gegenwart von Männern zu entkleiden, sie wurden verspottet.

Die Haare abzuschneiden („Podstritsch“ Anm ÜB) bedeutet in der Gefängnissprache den Betreffenden zu erniedrigen, ihn auf die unterste Stufe zu stellen. Das sind die eisernen „Gesetze“ der Russischen Föderation. Ein Mensch muss sich ausziehen, dann wird er gezwungen, in die Hocke zu gehen, damit er, insbesondere eine Frau, nichts verbirgt. Das ist eine unmenschliche Demütigung. Und das haben sie mit diesen Frauen gemacht. Sie sollten gezwungen werden Russisch zu sprechen, um dann in russischen Propagandafilmen Dinge zu tun, die sie niemals tun würden. Und nur dank der Verhandlungen direkt von der obersten Führung konnten sie zurückkehren.

Ähnliche Verbrechen wurden in Jugoslawien und Tschetschenien begangen. Ich möchte fragen: Was sind die Strafen für die Verletzung der Genfer Konvention? Und gibt es sie überhaupt?

Ich denke, wir müssen uns auf Jugoslawien und Ruanda konzentrieren. Dort gibt Beispiele, die wir alle kennen. Es gibt den Internationalen Gerichtshof der Vereinten Nationen, es gibt den Internationalen Strafgerichtshof. Deshalb müssen wir laut über die Schaffung eines Sondertribunals sprechen, das den Verbrecher und seine Handlungen genau personifiziert, und dann wird es eine Bestrafung geben.

Nun, der Internationale Gerichtshof hat bereits angeordnet (am 16.3.2022, Anm ÜB), dass Russland den Krieg sofort beenden muss. Peskow (Dmitrij Peskow, Kremlsprecher, Anm ÜB) sagte, dass diese Anordnung für ihn keine Befehlsgewalt habe.

Außerdem. Zum Austausch möchte ich noch eine Frage stellen, wenn ich natürlich darüber sprechen darf. Der Grenzsoldat der Schlangeninsel , der Autor des berühmten Satzes.

Der Leiter der OVA (regionale Kriegsverwaltung) von Tscherkassij, ​​Igor Taburets, überreicht eine Auszeichnung an Roman Gribov, einen befreiten Soldaten von der Schlangeninsel, den Autor des bekannten Satzes „Russisches Kriegsschiff, go f*ck“, Tscherkassy, ​​29. März 2022.

(Hintergundinfo: Anm. ÜB. Die Schlangeninsel ist ein winziges ukrainisches strategisches Eiland im Schwarzen Meer, das gleich zu Kriegsbeginn von der russ. Armee angegriffen wurde. Aus den Funkaufnahmen geht hervor, dass ein russisches Kriegsschiff die ukrainischen Soldaten auffordert sich zu ergeben, woraufhin der ukrainische Grenzsoldat Roman Gribov antwortet: „Russisches Kriegsschiff, hau ab“. Diese Funkspruchaufnahme verbreitete sich schnell landesweit und wurde zu einer Art Kriegsslogan für die Ukrainer)

Ich kann dazu leider dazu nichts sagen. Wir haben eine Liste aller Kriegsgefangenen von der Schlangeninsel. Wir kommunizieren mit ihren Eltern, Verwandten. Aber wir bewahren diese Informationen dort auf, wo sie aufbewahrt werden müssen, um niemanden zu schaden.

Es gab eine Erklärung über die Schaffung eines Lagers für russische Kriegsgefangene. Wo wird es sich befinden und wie wird es funktionieren?

In diese Richtung wird gearbeitet. Tatsächlich gibt es eine solche Position und ein solches Ziel, ein separates Lager zu schaffen. Wir haben genug inaktive Gefängnis-Kolonien, in denen es keine Häftlinge gibt. Einige können den Streitkräften und dem Verteidigungsministerium der Ukraine übergeben werden, und dort kann ein solches Lager eingerichtet werden.

Wann wird es fertig sein?

Der Plan ist noch nicht umgesetzt. Sobald der Ort feststeht, der Transfer abgeschlossen ist, können wir darüber sprechen. Und ich werde als Ombudsfrau die parlamentarische Kontrolle über die Einhaltung der Rechte der Kriegsgefangenen der Russischen Föderation ausüben. Das ist auch mein Auftrag. Bis heute wird die Genfer Konvention in Bezug auf Kriegsgefangene Bürger der Russischen Föderation von der Ukraine umgesetzt.

Dürfen nach dieser Konvention russische Kriegsgefangene an der Aufräum- und Schuttsortierung beteiligt sein, die sie angerichtet haben? Ich spreche nicht von Wiederaufbau. Aber zumindest von irgendetwas tun?

Derzeit befinden sich die Kriegsgefangenen in der Phase der Untersuchung, der Schuldermittlung. Solange die Ermittlungsverfahren laufen, solange es keine Festlegungen von Strafmaßen gibt, ist es nicht möglich sie für solche Arbeiten einzusetzen.

Kürzlich haben Sie eine Veröffentlichung über die Tyrannei des russischen Militärs in Irpin und anderen von den Invasoren befreiten Städten in der Region Kiew veröffentlicht, und zwar nicht nur gegen Frauen und Kinder, aber dann wurde es gelöscht. Warum denn das?

Wir haben uns entschieden, diese Informationen nur an internationale Menschenrechtsorganisationen weiterzugeben, damit diese sie nutzen können.

Unter dem Justizministerium wurde eine spezielle vereinigte Gruppe für die Erfassung von Kriegsverbrechen eingerichtet. Erzählen Sie uns genauer, wie diese Erfassung zustande kommt und warum sie für die zukünftige Verurteilung Russlands so notwendig ist.

Wir arbeiten in Übereinstimmung mit den Empfehlungen des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen vom 26. Februar. Wir arbeiten mit dem Hohen Kommissar der Vereinten Nationen für Menschenrechte zusammen, mit allen UN-Institutionen, mit dem Europarat, mit der Europäischen Union, mit Menschenrechtsorganisationen, mit internationalen Expertengruppen, die nach der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 4. März geschaffen wurden, und wir versuchen alles dafür zu tun, dass es zu einem Sondertribunal kommt.

Seit dem 24. Februar erfassen wir gemäß den Vorschriften alle Kriegsverbrechen und übermitteln zweimal täglich – um 10 Uhr und 17 Uhr – alle Informationen an die zuständigen Behörden zur Erfassung. Zur Automatisierung haben wir einen Telegrammkanal eingerichtet, den Chat „Stoppt die russische Aggression“, in den wir mit technischer Unterstützung des Europäischen Parlaments alle Informationen über Kriegsverbrechen hochladen. Jeder Bürger kann den Telegram-Kanal nutzen, um Fotos hochzuladen und eine Veröffentlichung zu schreiben. Wir haben spezielle Mitarbeiter, die das alles filtern, und so erfassen wir die Verbrechen.

Dies ein Teil der Arbeit der Ombudsstelle während des Kriegsrechts. Gemäß Art. 10 des Gesetzes „Über die rechtlichen Bestimmungen des Kriegsrechts“ dürfen der Präsident, die Oberste Rada, das Ministerkabinett und der Kommissar für Menschenrechte ihre Tätigkeit nicht einstellen. Deshalb unterstützen wir die Bürger bei der Lösung humanitärer Probleme und erfassen die vom russischen Militär begangenen Verbrechen. Wir machen eine Beschreibung, einen Verweis auf einen Artikel der Genfer Konvention oder des Römischen Statuts oder des Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs. Und diese Informationen werden auch an den Ankläger des Internationalen Strafgerichtshofs übermittelt.

 „Es gibt bereits 4.240.000 Flüchtlinge“

Es gibt eine Art Kriegsverbrechen wie Zwangsdeportation. In einem kürzlichen Gespräch mit uns, sagte der Bürgermeister von Mariupol, Vadim Bojtschenko, dass mehrere Tausend Einwohner von Mariupol unter dem Deckmantel der Evakuierung in das Territorium Russlands und der L/DVR (selbsternannte separatistische Volksrepubliken Lugansk, Donesk, Anm ÜB) zwangsweise aus der Stadt evakuiert wurden. Gibt es Informationen über diese Personen? Wo befinden sie sich – in Russland oder in den besetzten Gebieten des Donbass? Und wie können diese Menschen zurückkehren, wohin können sie sich wenden?

Zum ersten Mal erfuhren wir schon vor dem 24. Februar von den Filtrationslagern und der Zwangsdeportation von Menschen. Wir haben genau beschrieben, dass am 18. Februar 90.000 Bürger der Ukraine von ORDLO (Abkürzung für separatistische Gebiete im Donbass, Anm ÜB) in das Territorium der Russischen Föderation deportiert wurden. Dann haben wir uns an alle gewandt, einschließlich internationaler Menschenrechtsorganisationen, der UNO, aber niemand hat darauf wirklich reagiert. Na ja, vielleicht haben sich diese 90.000 ja auch alle auf einmal entschieden, „Urlaub zu machen“.

Danach erfuhren wir, dass 1.237 Kinder aus Waisenhäusern oder ohne elterliche Fürsorge in die Region Rostow gebracht wurden. Und jetzt bieten sie laut der Ombudsstelle für Kinder 270 Kindern eine Adoption an. Es wurde alles aufgezeichnet.

Nach dem 24. Februar nahm die Zwangsdeportation von Menschen massive Formen an. Das wissen wir genau. Warum sage ich „genau“ – weil es Mitteilungen von Moskalkowa (Tatjana Moskalkowa, Ombudsfrau der RF, Anm ÜB) gibt, inoffizielle Mitteilungen, denn sie weigern sich ja grundsätzlich Post von uns anzunehmen, – dennoch haben wir Informationen, dass sich bereits mehr als 600.000 unserer Bürger in der Russischen Föderation befinden- in den Regionen Wladimir, Omsk, Perm, Tscheljabinsk und auf Sachalin. Es gibt Zeugen, die uns auf unserer Hotline aus Sachalin angerufen haben. Und von diesen 600.000 sind über 117.000 Kinder. In diesem Fall entspricht die Zwangsdeportation den Merkmalen des Völkermords.

Die gewaltsame Verbringung von Kindern und anderen Gruppen in ein bewaffnetes Konfliktgebiet ist ein Zeichen von Völkermord. Wir wissen von dem neuen Filtrationslager in Manhusch. Jetzt muss jeder, der von Mariupol nach Berdjansk reist, eine strenge und langwierige Überprüfung durchlaufen. Die Besatzer führen schlichtweg ihre „Säuberungen“ (so die Bezeichnung dieser Vorgehensweise aus den Methoden stalinistischen Terrors, Anm. ÜB) durch.

Nach welchen Kriterien wird in diesen Lagern „ausgesondert“? Was passiert da?

Die Leute werden gefragt, ob sie für oder gegen Russland sind. „Nazis“ oder nicht. Ob sie in der Ukraine noch Verwandte oder andere Bindungen haben. Wir haben Zeugenaussagen von Menschen, die gewaltsam von diesen Filtrationslagern nach Taganrog oder Saransk gebracht wurden. Es gibt ein Beispiel meines Kollegen, der im Büro der Ombudsstelle arbeitet: Alle seine Verwandten, die am rechten Ufer von Mariupol lebten, fuhren nach Saporischschja, und diejenigen, die am linken Ufer lebten, wurden nach Susdal in der Region Wladimir gebracht. Seit dem 20. März gab es keine Kommunikation mehr mit ihnen. Handys und Pässe werden den Leuten abgenommen.

Wir hatten eine Sitzung der NRİ-Generalversammlung – einer Vereinigung von Ombudspersonen europäischer Staaten, zu der auch die Russische Föderation gehört – und ich vertrat die Position, dass die Zwangsabschiebung ein Völkermord am ukrainischen Volk sei, dass dies eine Bestätigung der Verbrechen der Russischen Föderation gegen die Ukraine sei. Und ich schlug vor, eine internationale Arbeitsgruppe bestehend aus Ombudsleuten aus anderen Ländern zu gründen, das Internationale Rote Kreuz einzubeziehen und Korridore für zwangsdeportierte ukrainische Bürger zu schaffen,  so dass diese in ihre Heimat zurückkehren könnten. Wozu Moskalkowa, so man etwas Positives über sie sagen kann, zugestimmt hat. Jetzt sind wir dabei, Staaten zu bestimmen, die dieser Gruppe beitreten möchten, und wir werden versuchen, einen solchen Mechanismus auszuarbeiten.

Ich habe Moskalkowa eine offizielle Anfrage geschickt, um Informationen über die Deportierten zu erhalten. Es gibt noch keine Antwort. Ich denke, sie haben selbst keine Antwort, weil es ihnen egal ist, wer diese Leute sind, wie ihre Nachnamen sind, sie wollen nur so viele unserer Bürger wie möglich in die Russische Föderation bringen. Vergleichen Sie zwei Zahlen: Dank der humanitären Korridore, die die Behörden im Einvernehmen mit der Russischen Föderation zu schaffen versuchen, wurden etwas mehr als 250.000 unserer Bürger in das sichere Territorium der Ukraine gebracht. Nach Russland hingegen wurden 615.000 Ukrainer überführt. Über welche Art von humanitären Korridoren, humanitären Missionen können wir also sprechen, welche Parteien verpflichten sich der Genfer Konvention? Erst gestern (6. April – S.K.) wurden mehr als 6.000 Ukrainer nach Russland überführt.

Menschen aus dem besetzten Mariupol und Melitopol kamen am 25. März 2022 am Evakuierungspunkt in Saporoschje an.

Die überwiegende Mehrheit dieser 615.000 wollte keine Umsiedlung?

Sicherlich. Sie (die russischen Behörden. – S.K.) machen natürlich inszenierte Fotos und Videos, irgendeine Familie, die unter Tränen darum fleht von Russland aufgenommen zu werden, doch unsere Leute berichten vom Gegenteil. Als sie anriefen, sagten sie, dass sie nach Taganrog in einen Kindergarten gebracht worden seien. Eine 92-jährige Frau, die sich nicht mehr bewegen kann – sie trugen sie auf Brettern zum Bus – sie nahmen diesen Bus zu diesem Kindergarten, wo sie auf einer Art Schild auf dem Boden schliefen. Es war kalt, sie bekamen nichts zu essen, sechs Tage später setzten sie sie in einen Zug und brachten sie nach Susdal. Dann wurde die Verbindung gekappt. Und solche Leute gibt es viele.

Unabhängig davon möchte ich Sie nach Flüchtlingen fragen.

Nach Angaben der UN sind seit Kriegsbeginn mehr als 4,2 Millionen Ukrainer ins Ausland gegangen. 4 240 000. Und fast 2 Millionen davon sind Kinder.

Meistens sind es Kinder, Alte und Frauen, ja. Haben Sie Fragen zum Schutz ihrer Rechte in anderen Ländern angesprochen? Es gab Behauptungen, dass sie einem erhöhten Risiko ausgesetzt seien, in eine Situation des Menschenhandels zu geraten.

Ich hatte ein Treffen, um genau herauszufinden, wo diese Leute sind, in welchen Staaten, weil die Informationen sehr unterschiedlich sind. Wir haben uns mit Polen befasst. Nach dem 24. Februar verließen 2,5 Millionen unserer Bürger die Ukraine, davor waren es weitere 4 Mio. Bereits 400.000 unserer Bürger sind in die Ukraine zurückgekehrt. Das heißt, es gibt dort etwa 6,1 Millionen Ukrainer und 3,5 Tausend Kinder sind registriert. Und niemand kann sagen, wie viele Menschen vorübergehenden Schutz erhalten haben, wie es in der Erklärung des Europarates vorgesehen ist.

Der Mechanismus ist für alle gleich. Wenn eine Person vorübergehend Schutz benötigt, erhält sie in jedem Staat, der dieser Erklärung beigetreten ist, ein entsprechendes Visum und kann sich so nicht nur 90 Tage, sondern fast ein Jahr auf dem Territorium dieses Staates aufhalten. Wenn die Feindseligkeiten in der Ukraine bis zum Ablauf des Visums andauern, wird es um ein weiteres Jahr verlängert. Das ist kein Flüchtlingsstatus, das ist ein vorübergehender Schutzstatus. Denn die Flüchtlingseigenschaft sieht ein ganz anderes Verfahren vor – man braucht zum Beispiel Beweise für Verfolgung etc. Und die Daten zum „vorübergehenden Schutz“, die ich nach Ländern habe, sind sehr beunruhigend.

Ich war in Belgien, dort habe ich überprüft, wie unsere Bürger vorübergehenden Schutz erhalten – und es ist sehr schwierig. Ich habe mich meinen OmbudkollegInnen in den Städten getroffen, in denen unsere Bürger ankommen – der Prozess der Registrierung ihres Status hat gerade erst begonnen. Die Personen werden erfasst, dann müssen sie sich für eine Wohnung in den kommunalen Gemeinden (der kleinsten Verwaltungseinheit in Belgien – S.K.) entscheiden. Fast 60% haben eine Übereinkunft einer solche Unterkunft gefunden. 40% haben immer noch keine Wohnung, Freiwillige helfen ihnen beim Suchen, bringen sie in die Gemeinden, wo es unterschiedliche Einstellungen gegenüber unseren Bürgern gibt sowie unterschiedliche Bedingungen für die Erlangung eines Visums. Und ob es letztlich eine Krankenversicherung, ein Arbeitsvisum, geben wird, ist noch unklar.

Gleichzeitig habe ich mich mit meinem Kollegen aus Tschechien getroffen und kann sagen, dass ich mit dem Gespräch zufrieden war. Es gibt wirklich eine gute Erfassung und die Erteilung von Visa. Vor einer Woche gab es 218.000 solcher Visa, und wenn sie die genaue Zahl nennen, bedeutet das, dass alle unter Schutz stehen. Die Leute bekommen einen Status, freie Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel, Krankenversicherung und Arbeitsgenehmigung.

Hilfsstelle für ukrainische Flüchtlinge in Brüssel, Belgien, 8. April 2022

Aber eines möchte ich sagen: In allen Staaten gibt es Unterstützung für unsere Bürger im arbeitsfähigen Alter, es gibt einige Programme für Kinder, die Möglichkeit, in einigen Schulen auf Ukrainisch zu unterrichten, Programme zur Anpassung an den französischsprachigen oder englischsprachigen Unterricht, aber es gibt kein Programm für ältere Menschen. Neulich sprach ich bei einer speziellen UN-Gruppe, die sich mit Themen älterer Menschen befasst, und ich hatte die Bitte, solche Programme aufzubauen. Denn auch im Ausland gibt es viele ältere Menschen. Und sie haben schon viel erlebt und brauchen Unterstützung.

Es ist klar, dass sich Ihre Aktivität in letzter Zeit vor dem Hintergrund des Krieges intensiviert hat. Aber was war für Sie in diesen Tagen der emotionalste Moment?

Sie haben gefragt – und ein Schreckensschauer durchfährt mich. Natürlich war es Butscha. Wissen Sie, ich hatte viele Interviews, in denen die Briten, die Amerikaner fragten, welche Beweise haben sie dafür, dass die Russen Phosphorbomben, von der Genfer Konvention verbotene Waffen usw. eingesetzt haben? Und ich zitierte die Beweise, die ich zuvor von Strafverfolgungsbeamten, Freiwilligen, vom Militär, die vor Ort waren, erhalten habe. Aber in Butscha war ich selbst, ich habe Butscha mit eigenen Augen gesehen. Und es ist unmöglich das zu ertragen. Es ist einfach unmöglich (Stimme beginnt zu zittern. – S.K.).

Wenn du manikürte Finger aus dem Boden ragen siehst… Oder ein Stück beigen Strickstoff „in Herzchenmuster“ – und du merkst, dass das so ein Stoff ist… Eindeutig Kinderkleidung… Da lag ein Turnschuh… Genau wie der meiner Enkelin. Das ist Größe 33. Verstehen Sie (Weinen. – S.K.)

Ein Beinchen, wie das meiner Enkelin … Nun, es ist unmöglich das zu ertragen. Diese Bastarde müssen geschlagen werden!

Quelle: lb.ua

Fotos: Фейсбук/Людмила Денісова, mil.in.ua, The Telegraph, пресслужба Офісу омбудсмана України, Генштаб ЗСУ, Ірина Верещук, ck-oda.gov.ua, ГУР МОУ, EPA/UPG