Die deutsche Hauptstadt erlebt einen nie dagewesenen Zustrom von Flüchtlingen aus der Ukraine

Wenn man sich einen Weg durch die Menschenmassen im Zug Warschau-Berlin bahnt, muss man aufpassen, dass man niemandem auf die Pfoten oder den Schwanz tritt. Yorkshire-Terrier, Siberian Huskies, Boxer, Mischlinge – es mag den Anschein haben, als sei die Kasse mit Teilnehmern von Hundeausstellungen überfüllt. Aber die Dinge sind viel beängstigender als das.

Многие беженцы приезжают с собакамиViele Flüchtlinge kommen mit Hunden

Hunde sind das Einzige, was ihren Besitzern wieder ein Lächeln ins Gesicht zaubert, das von Tränen und schlaflosen Nächten geschwollen ist. Fragt man sie nach ihrer Reise nach Deutschland, brechen ihre Stimmen, wenn sie von der Flucht aus ihren Heimatstädten Charkiw, Kiew und Nikolajew erzählen, von Warteschlangen an der Grenze, von überfüllten Zügen und von zurückgelassenen Verwandten, wo die Streitkräfte des Nachbarlandes seit drei Wochen ihre berüchtigte „militärische Sonderoperation“ durchführen.

Wenn ich sie nach den Hunden frage, verschwinden die Tränen und es erscheint so etwas wie ein Lächeln auf ihren Gesichtern. „Wir konnten sie nicht allein lassen“, sagen sie. Die Hunde kuscheln sich verständnislos an ihre Besitzer.

Der Berliner Bahnhof als „Tor zu Deutschland“ für Flüchtlinge aus der Ukraine

Nichts ist einfacher, als sich im Berliner Hauptbahnhof zu verirren – ein Gewirr aus Glas und Stahl, durch das täglich 330.000 Fahrgäste gehen und 1.300 Züge abfahren. Vier Etagen, 14 Gleise, 54 Rolltreppen, Panoramaaufzüge, Dutzende von Cafés und Geschäften – wer zum ersten Mal kommt, verliert sich oft in der Beschilderung.

Центр помощи беженцам на вокзале БерлинаFlüchtlingszentrum im Berliner Hauptbahnhof

Doch seit die russische Armee in den frühen Morgenstunden des 24. Februar 2022 die ukrainische Grenze überschritt und Millionen von Flüchtlingen in den Westen strömten, hört man am Berliner Hauptbahnhof immer öfter ukrainisches Gelächter. Denn Berlin, genauer gesagt der Hauptbahnhof, ist für die Ukrainer das Tor nach Deutschland.

Praktisch alle Schilder am Bahnhof sind in ukrainischer und russischer Sprache, und alle zehn Meter steht ein Freiwilliger in einer hellen Weste. Und als ein weiterer Zug aus Warschau einfährt, sind die Durchsagen auf dem Bahnsteig auf Ukrainisch – ein ehemaliger Mitarbeiter der Deutschen Bahn, Aleksandr Gorsky, ein gebürtiger Ukrainer und Freiwilliger, spricht ins Mikrofon „Laskavo prosimy v Berlin“. Die Deutsche Bahn nennt ihn ihre „wichtigste Stimme“.

Die Aufgabe der Freiwilligen ist es, ihnen die ersten Schritte in Deutschland so einfach wie möglich zu machen und ihnen bei den grundlegenden alltäglichen Aufgaben zu helfen: ein kostenloses Bahnticket zu bekommen, eine SIM-Karte für das Handy zu besorgen, zu essen, zu schlafen und an ihr Ziel zu kommen. Die gelben und orangefarbenen Westen lassen die Augen glasig werden. Orangefarbene Westen werden von denjenigen getragen, die Ukrainisch sprechen.

Житель Киева Павел, волонтер Der Kiewer Pavel, ein Freiwilliger

Zum Beispiel Pavel, ein Rentner aus Kiew. Er kam am 2. März in Berlin an und wurde von einer deutschen Familie bei einem völlig Fremden untergebracht. Seitdem kommt Pavel jeden Tag in die Station, um Menschen wie ihm zu helfen. Der einzige Grund, warum er nicht in den Krieg zog, war sein Rentenalter. „Ich weiß nicht, wie man nicht helfen können“, sagt er.

Oder Anna, eine Rentnerin aus Nikolajew, die über fünf Länder nach Berlin gereist und erst vor zwei Tagen angekommen ist. „Die Menschen stehen unter großem Stress, weil sie von ihren Familien getrennt sind“, sagt sie. – Ich habe den ganzen Alptraum selbst durchgemacht, und es hilft, einen Zugang zu den Menschen zu finden“.

Ein paar Meter weiter steht Irina, eine Rentnerin aus Kiew, mit einer Tasse Kaffee in der Hand. Sie zählt die Namen der Grenzübergänge auf dem Rückweg von ihrer Heimatstadt auf, versucht zu lächeln, kann es aber nicht lassen. „Ich habe nicht erwartet, dass ich so liebevoll behandelt werde“, sagt sie und bricht in Tränen aus.

Жительница Харькова Алла Alla aus Charkiw

Oder, zum Beispiel, Alla aus Charkiw. Auch sie ist gerade aus dem Zug gestiegen und hat seit zwei Tagen nicht mehr geschlafen. „Wir sind froh, dass es keine Explosionen gibt und dass es Strom gibt. Wir haben alles hingeschmissen, was wir hatten, und sind mit allem, was wir hatten, gerannt“, sagt sie. Sie hatte drei Taschen dabei.

Ihr Reisebegleiter weint unaufhörlich. Auch sie sind mit einem Hund unterwegs.

Freiwillige aus ganz Europa

Dutzende, wenn nicht Hunderte von Freiwilligen arbeiten auf dem Bahnhof, einige reisen von weit her an, um zu helfen (letztes Wochenende arbeiteten russischsprachige Freiwillige aus London auf dem Bahnhof).

Die Deutsche Bahn bietet täglich acht Zugpaare zwischen Berlin und Warschau und sechs zusätzliche Schnellzüge zwischen Berlin und Frankfurt/Oder an der Grenze zu Polen. Nach Angaben von Anja Bröker, einer Sprecherin der Deutschen Bahn, kommen täglich mindestens 7.500 Flüchtlinge in Berlin an. „Wir haben einen Teil des Bahnhofs für die Flüchtlinge reserviert, in der Hoffnung, dass es dort ruhiger ist und sie zur Besinnung kommen können, aber es waren so viele, dass es mit der Ruhe vorbei war“, sagt sie.

Niemand kann sagen, wie viele Freiwillige in der Station sind. „Das Ausmaß dieses Alptraums hat alle überrascht – niemand war auf das Ausmaß dieses Schreckens vorbereitet, niemand von uns hatte einen solchen Zustrom von Flüchtlingen gesehen“, sagt Anja Bröker. Der psychologische Unterstützungsdienst, der ursprünglich für Bahnbedienstete konzipiert wurde, steht nun auch Freiwilligen zur Verfügung.

Die Deutsche Bahn hat über 100.000 Fahrkarten für Fernverkehrszüge an ukrainische Flüchtlinge ausgegeben. Stapel von Fahrkarten mit den Namen der Städte wurden im Voraus am Fahrkartenschalter vorbereitet – Sie müssen nur Ihren Reisepass vorzeigen und Ihr Reiseziel angeben. Die Aktion heißt Help Ukraine und Anja Bröker versichert im Namen der Deutschen Bahn, dass die Tickets so lange wie nötig ausgegeben werden. „Es ist uns wichtig, dass die Menschen so schnell wie möglich dort ankommen, wo sie erwartet werden – und dass sie sich keine Gedanken machen müssen“, sagt sie.

Außerdem gibt es eine provisorische Kinderecke, Tee und Kaffee, Coronavirus-Tests, einen separaten Stand für LGBT-Flüchtlinge und natürlich Hilfe für Katzen- und Hundebesitzer neben der Fahrkartenausgabe. Es herrscht eine unglaubliche, untypische Betriebsamkeit, aber es scheint, als wüssten alle Freiwilligen, was zu tun ist – „die Freiwilligen und unsere Mitarbeiter arbeiten Schulter an Schulter“, sagt Anja Bröker, Sprecherin der Deutschen Bahn. Und sie fügt hinzu, dass die Gruppe im Interesse einer schnellen Hilfe für die Flüchtlinge sogar auf einige Unternehmensvorschriften und die strikte Einhaltung von Arbeitszeitplänen verzichtet hat.

Für ein deutsches Staatsgebilde sind solche Schritte sehr selten.

Zugtickets und Anrufe in die Ukraine sind kostenlos

Und für alle, die in Berlin bleiben, gibt es auf dem Bahnhofsvorplatz ein großes Zelt, in dem man eine Pause einlegen, etwas essen und sich ein wenig erholen kann. Hier, auf dem Platz, werden kostenlose SIM-Karten für Mobiltelefone verteilt. Deutsche Anbieter haben Gespräche in die Ukraine und in die EU für Flüchtlinge kostenlos gemacht. Die Berliner Behörden reaktivierten umgehend den geschlossenen Flughafen Tegel im Westen der Stadt und richteten ein Aufnahme- und Registrierungszentrum für ukrainische Flüchtlinge ein. In naher Zukunft wird sich die Bundeswehr an der Flüchtlingshilfe in der Hauptstadt beteiligen. Inzwischen führt die Deutsche Bahn zusätzliche Züge von Polen nach Hannover ein, um Berlin zu entlasten..

Unterdessen haben die Berliner Veterinärämter an Hundehalter aus der Ukraine appelliert, sich so schnell wie möglich gegen Tollwut impfen zu lassen.

Quelle: dw.com