47 000 ukrainische Flüchtlinge zählt Litauen bis heute und jeden Tag kommen etwa 150 hinzu.
Das kleine Litauen, kleiner als der deutsche Freistaat Bayern mit insgesamt unter 3 Millionen Einwohnern, steht hier vor einer großen humanitären Herausforderung. Doch die drei kleinen baltischen Staaten sind stark! Und sie verstehen die Ukrainer wie wohl kaum ein anderer.
Unvergesslich ihre rund 600 Kilometer lange Menschenkette zwischen den drei Hauptstädten Tallinn, Riga und Vilnius, mit der sie damals am 23. August 1989 für ihre Unabhängigkeit demonstrierten. – Die IGFM unterstützt von Beginn bis heute mit Herz und Verstand.
Hier der Bericht unserer kleinen, aber tatkräftigen IGFM Delegationsreise Mitte April 2022.
Viele UkrainerInnen haben Verwandte in Litauen. Als Unterstützung bekommen sie 20 € im Monat pro Person, d.h. sie sind auf andere Unterstützung angewiesen wie z.B. die der Caritas oder IGFM. Die Flüchtlinge erhalten einmalig 250 € sowie 115 € für Lebensmittel und jeden zweiten Monat ein Lebensmittelpaket. Kleidung, Schuhe etc. kann man über die Caritas erhalten. Nach zwei bis vier Monaten greift die geregelte Sozialhilfe. Das ukrainische Geld kann nicht getauscht werden. Es wird daran gearbeitet eine ukrainische Bank einzurichten, um dann Geld zu tauschen. Gänzliche mittellose Flüchtlinge erhalten 1000 € von der Regierung.
Alt eingespieltes IGFM Humanitäre Hilfe Team
Unvergesslich die baltische Menschenkette für die Unabhängigkeit, insbesondere für alle, die damals selbst mit dabei waren, so wie die langjährige Vorsitzende der IGFM Sektion Litauen, Jurgita Samoskiene, die zwischenzeitlich viele Jahre in Deutschland lebte und arbeitete, doch ihr Herz sie wieder in ihr Heimatland zurückführte.
Besonders freudig war daher der Empfang der aus Deutschland angereisten Ehrenvorsitzenden der IGFM, Katrin Bornmüller, ohne die die jahrzehntelange humanitäre Hilfsarbeit in Litauen nicht möglich gewesen wäre. Katrin Bornmüller hat als Vorsitzende der IGFM Arbeitsgruppe Wittlich schon über 500 große humanitäre Hilfstransporte auf den Weg bringen können, ein großer Teil ging und geht nach Litauen.
Begleitet wurde Bornmüller von dem Mitarbeiter der IGFM Geschäftsstelle Khalil Al Rasho, Leiter der Abteilungen Nordirak und Humanitäre Hilfe.
Besuch bei altem IGFM-Freund und Mitbegründer von Sajudis
Neben dem strammen Arbeitsprogramm stand natürlich auch ein privater Besuch bei dem heute 85jährigen Mitbegründer von Sajudis und ehemaligen litauischen Abgeordneten Virgilijus Juozas Čepaitis an erster Stelle.

Kundgebung im Bergpark Vilnius zum Gedenken an den 50. Jahrestag des Molotow-Ribbentrop-Paktes. Stehend von links: Mečys Laurinkus, Vytautas Landsbergis, Kazimiera Prunskienė, Romas Gudaitis, Virgilijus Čepaitis, Bronius Genzelis und andere. Wilna, 1989 22. August Foto von V. Gulevičius (ELTA) LCVA.

Besuch unter alten Fürkämpfern der Menschenrechte, Virgilijus Juozas Čepaitis und Katrin Bornmüller in der Mitte
Vilnius – Registrationszentrum für ukrainische Kriegsflüchtlinge, Auffangeinrichtung für Flüchtlinge im Stadtteil Naujininkai, Deutsche Botschaft
Am 22.04. besichtigten die IGFM Vertreter mit Mitarbeitern des Innenministeriums das Registrierzentrum für ukrainische Kriegsflüchtlinge in Vilnius.

Registrierzentrum für ukrainische Flüchtlinge in Vilnius

Vlnr.: Katrin Bornmüller, Maksim Afanasjev -Senior Adviser International Cooperation Group und seine Helferin, Khalil Al Rasho.
„Es ist bewundernswert, wie die litauische Regierung das organisiert hat. Die Ukrainer sind fleißige Leute, viele arbeiten bereits, im Zentrum war auch das Arbeitsamt vertreten. Viele NGOs helfen bei den Dokumenten, Aufenthaltsgenehmigungen, geben Essen aus, die Flüchtlinge dürfen 72 Stunden dort verbringen. Die meisten kommen, weil sie Verwandte in Litauen haben und wollen bleiben. Es werden Fingerabdrücke genommen und ein Foto der Person gemacht, dann gibt es Aufenthaltsgenehmigungen aus Papier, nach einem Monat eine Karte. Die Ukrainer wollen keine Belastung sein und arbeiten“.
Empfang vom deutschen Botschafter
Am 19.04.2022 konnten mit dem deutschen Botschafter, Herrn Sonn und seinem Stellvertreter Dr. Buschmann in Vilnius zahlreiche Punkte und Ideen ausgemacht werden, in denen man sich gegenseitig unterstützen kann.

Facebookseite der Deutschen Botschaft in Litauen berichtet über die IGFM und das Treffen. Vlnr:: Al Rasho, Bornmüller, deutscher Botschafter Matthias Sonn, Samoskiene
Auffangeinrichtung im Vilniusser Stadtteil Naujininkai
Hier kommen ca. 80 Prozent der Menschen aus dem Irak. Die meisten sind Kurden, gefolgt von Arabern, Jesiden, Afghanen und Syrern. Es gab und gebe gefährliche Fluchtversuche aus der Einrichtung, so aus der Krankenstation oder es haben schon mehrere Familien mit Babies versucht aus den Fenstern zu entkommen, so der Leiter der Einrichtung, Gediminas Pocius.
Migrantenheim in Rukla, 100 km nordwestlich der Hauptstadt
Dort leben derzeit 670 besonders bedürftige Migranten. Schwangere, Kranke und Behinderte. Zumeist illegal von Lukaschenko nach Litauen geschleust, so erklärte die freundliche Leiterin der Institution, Beatrice Bernotiene. Die Meisten sind aus dem Irak, aber auch aus Afghanistan, Afrika, oder Syrien. Darunter viele jesidische und auch christliche Flüchtlinge, die bereits Schreckliches durch den IS erlebt haben. Nadia aus dem Irak musste mit ansehen wie ihre Schwester vom IS erschossen wurde, selbst jetzt erhält sie noch Morddrohungen vom IS. Seit neun Monaten ist der Aufenthaltsstatus für die Bewohner noch ungeklärt. Es gibt keine Kantine, die Menschen müssen selbst einkaufen und in Großküchen kochen. 90 Sozialarbeiter betreuen die Menschen, begleiten sie auch beim Einkauf. Das Kurs-Angebot ist wie in den meisten Flüchtlingsstätten in Litauen gut aufgestellt.

Migranteneinrichtung in Rukla, noch ein Foto, bevor es weiter geht
Migranteneinrichtung in Pabrade
50 km nordöstlich von Vilnius, ganz in der Nähe der belarusischen Grenze, galt der nächste Besuch dem Migrantenheim in Pabrade. Pabrade ist eine kleine, unter 6000 Einwohner zählende ehemalige sowjetische Militärstadt, deren alte Militärstätten heute als NATO-Übungsplätze dienen. Das Migrantenheim in Pabrade existiert schon seit 1997, die große Krise mit den von Lukaschenko eingeschleusten Menschen war im Mai 2021, wonach Medinikai und Kibarte als Auffangsstätten für Flüchtlinge eingerichtet wurden. In Pabrade befinden sich Asylanten und illegal eingereiste Personen. Letztere dürfen die Einrichtung nicht verlassen. Sie müssen einen Asylantrag stellen, medizinische Versorgung ist gewährleistet. Ein Arzt untersucht jeden Tag 20 Patienten, wenn nötig gibt es Operationen. Es ist dafür gesorgt, dass Sport stattfindet, auch Englischkurse werden angeboten, das Rote Kreuz und die Caritas sorgen für Bälle, Netze, Puzzles…
„Auch hier befinden sich derzeit fast 700 Flüchtlinge. 145 ukrainische Flüchtlinge leben in einem Wohnheim der dortigen Berufsschule. Viele geflüchtete Belarusinnen und Belarusen besitzen bereits die litauische Staatsbürgerschaft. Alle sollen Litauisch lernen. Die Kinder aus dem Migrantenheim besuchen die allgemeinen Schulen. Es fehlt an Kindergartenplätzen“.
Das Auffanglager für Flüchtlinge in Medininkai
40 km östlich von Vilnius an der belarusischen Grenze besuchten sie das Auffanglager „Medininkai“ zum zweiten Mal.

Der Leiter des Auffangslagers Medininkai, Petras Austravicius (Mitte), führt die IGFM-Vertreter
„Der Leiter Petras Austravicius war ein netter junger Offizier. Sein Opa wohnt in Köln. Es gibt 651 Menschen hier, keine Kinder mehr. Die Menschen können einen Beruf erlernen. Angeboten wird Englisch, Frisör- und andere Handwerke. Viele Vereine bieten Freizeitbeschäftigungen an. Wenn das Asylverfahren abgelehnt wird, müssen die Lagerangestellten das den Menschen vermitteln, das ist schwer für sie. Die Verfahren finden online statt. Die IGFM sprach das Problem der Dolmetscher an, die oft falsch übersetzten, sie werden von der EU entsendet. Auch gibt es Vertrauensprobleme vor religiösen oder ethnischen Hintergründen.“
Verteilungszentrum für Flüchtlinge in Pasvalys
Pasvalys liegt 180 km nördlich der litauischen Hauptstadt, nahe der lettischen Grenze, dort befindet sich das Verteilungszentrum für Flüchtlinge der Regionen Biržai, Pasvalys und Panevėžys. Die Unterstützung für ukrainische Flüchtlinge erfolgt über das Sozialamt. 500 Familien sind in dieser Region in litauischen Familien, bei Bauern oder in freien Wohnungen untergebracht.
Schuleinrichtung in Pandėlys
Diese Schule in der Region Rokiškis wird schon lange von der IGFM unterstützt. Ein Großteil der Kinder der ersten Klassen komme aus sehr armen Verhältnissen, so eine Lehrerin der Einrichtung. Das Kindergeld betrage 70 € pro Kind und die Sozialhilfe liege 100 €. Die Kinder bekommen Essen in der Schule. Ukrainische Kinder haben ukrainischen Online-Unterricht, im späteren Stadium auch in Litauisch oder Russisch.

Die kommunale Internet Zeitung berichtet über den Besuch der IGFM VertreterInnen
Selbst Lehrer müssen hier bei einem Gehalt von 800,-€ Schulmaterialien bis hin zu Toilettenpapier und Seife selbst zahlen. In der Schule werden Hilfsgüter verteilt, die aber in der Schule bleiben, da die Gefahr bestünde, dass die Eltern es sonst verkaufen. 7 Busse sammeln die Schulkinder morgens ein.
Dreiländereck Litauen, Lettland, Belarus
Ignalina- IGFM Lager für humanitäre Hilfe in guter Zusammenarbeit mit Caritas
Mit dem katholischen Pfarrer Vidas Smagurauskas wurde die Caritas in Ignalina und das IGFM-Lager für humanitäre Hilfe besucht. Für Caritas kochen ehrenamtliche Frauen Essen für bedürftige Kinder, darunter viele ukrainische Kinder. Anschließend ging es 40 km weiter östlich nach Tverečius, einem Dorf direkt an der belarusischen Grenze. Hier wurde der kleinen Delegation Einlass in private Räume von sehr armen Familien gewährt, Familien, die in einem Raum wohnen, schlafen und essen.

kleines Lager der IGFM in Ignalina für humanitäre Hilfe
Besuch beim Bürgermeister in Visaginas
Visaginas zählt die meisten ukrainischen Flüchtlinge. Hier empfing Bürgermeister Erland Galaguz die IGFM-Delegation und berichtete von der schwierigen Lage vor Ort. Die Stadt wurde 1975 für die sowjetische Elite gegründet, um das Atomkraftwerk Ignalina zu bauen. Dieses ist noch heute in Betrieb, allerdings auf Sparflamme. Ethnische Russen stellten dort im Jahr 2005 etwa 55 Prozent der Bevölkerung (gegenüber 6 Prozent im Durchschnitt), auch Belarusen sind hier mit 10%, sowie Ukrainer mit 6 % überdurchschnittlich stark vertreten. Ethnische Litauer bilden in Visaginas mit etwa 16 % nur eine Minderheit. Es gebe hier in der Regionen bis zu vierzig unterschiedlichen Nationalitäten, so Galaguz. Auch in den russischen Schulen muss das Abitur in litauischer Sprache abgelegt werden. Die meisten Ukrainer wollten hier in Litauen bleiben. Das russische Fernsehen sei abgeschaltet. Vor geraumer Zeit flüchtete ein ganzes belarusisches Theaterensemble nach Visaginas. Heute hat die Stadt nur noch 19000 Einwohner, es waren einmal über 30000. Es gibt eine Partnerstadt in Frankreich, man würde gerne eine Partnerstadt auch in Deutschland haben.

Die Stadt Visaginas berichtet über IGFM Empfang beim Bürgermeister
Waisenhaus in Visaginas
Hier sprechen die Blicke für sich…

Bornmüller mit Waisenkindern in Visaginas
Treffen mit exilbelarusischer IGFM-Partnerorganisation Nash Dom (Unser Haus)

v.r.n.l: Karatch, Samoskiene und Bornmüller gelten schon lange als womenpower IGFM dream-team:)
Zum Abschluss durfte natürlich auch ein privates Treffen mit der Olga Karatch (Foto rechts), der Vorsitzenden der bekannten exilbelarusischen NGO „Nash Dom“ nicht fehlen. Karatch steht unter schwerer Verfolgung und Bedrohung des diktatorischen Lukaschenko Regimes. Karatch, Samoskiene und Bornmüller gelten schon lange als womenpower IGFM dream-team.
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