Corona in Deutschland, der Welt und Menschenrechte
Begnadet
Wer dies Erdental besucht
In schicksalsschwerer Stund
Fjodor Iwanowitsch Tjuttschew, 1803 – 1873
Covid-19 in Deutschland
Outbreak-Lautlose Killer
Von Wuhan nach Heinsberg
Was genau ist das für ein Virus?
Tsunami Dynamik
Im Sterben liegt der Unterschied
Flatten the curve
Die Vollbremsung im Mercedes
Eng zusammen auf Abstand
Unser Wirtschafts-Airbag
Stichtag 20.4.
Nebenwirkungen des „Medikaments Shutdown“
Zeit zum Sortieren, dynamischer Stillstand
Covid-19, die Welt und Menschenrechte
Taktlose Kritik?
Der Takt eines Menschenrechtlers
Humanitäre Gefahren
Gefährdung von Grundrechten
Unzureichende länderübergreifende Strategien
Unverhältnismäßigkeiten
Begnadet, wer dies Erdental besucht, in schicksalsschwerer Stund
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Covid-19 in Deutschland
Outbreak-Lautlose Killer
Ende Dezember kamen die Nachrichten aus China, ein neuartiges tödliches Virus habe sich dort entwickelt. Mit Entsetzen habe ich diese Nachricht an meine Kinder gewhattsappt, im Kopf Szenen amerikanischer Pandemie- Katastrophenfilme, so z.B. „Outbreak-Lautlose Killer“ mit Dustin Hoffman. Danach verfolgten wir wohl alle die Nachrichtenbilder aus China, aus Wuhan. „Corona“ und „Wuhan“ waren die ersten Wörter, die in unseren neuen Sprachalltag übergingen. Für uns hier in Deutschland war es dennoch sehr weit entfernt. Man sah wie regional abgesperrt wurde, wie spezielle gigantische Krankenhäuser aus dem Boden gestampft wurden, wie ein autoritärer und rigider Apparat dort die rigorose Kontrolle übernahm. Die hohe Zahl der Toten stand im Zusammenhang mit dem chinesischen Regime, dass den Virus am Anfang offensichtlich zu vertuschen suchte, aber dann mit der Veröffentlichung der Information die Epidemie mit diesen massiven Maßnahmen doch noch in den Griff zu bekommen schien. Insofern war der bedrohliche Virus weit weg in Wuhan geblieben, eine Epidemie, keine Pandemie.
Von Wuhan nach Heinsberg
Anfang März sollte ich gute Freunde aus Russland zu Besuch bekommen und mit ihnen auf die Eisenwarenmesse in Köln gehen. Insofern schaute ich immer mal auf die Website der Eisenwarenmesse und stellte fest, dass dort immer mehr Aussteller absagten. Denn ein Großteil kam aus China.
Ende Februar erhielt ich dann ein offizielles Absageschreiben der Eisenwarenmesse, – wo ich ja angemeldet war-, mit einer ausführlichen Begründung, warum man sich im Zusammenhang mit Corona für eine Verschiebung aufs nächste Jahr entschieden hatte. Das war schon ein großes Ding! Tausende von angemeldeten Ausstellern, Zehntausende Besucher. Was ein finanzieller Verlust für die Unternehmen, für die Stadt Köln, für die Hotel- und Touristikbranche! Dennoch war klar, meine Freunde kommen dann eben ohne diese Messe zu mir zu Besuch. Wurde das doch irgendwie übertrieben mit diesem Virus, ist er doch ähnlich wie eine Grippe und gefährlich nur für ältere Menschen. Ständig erhielt man Whattsapp-Witze zum Thema und leitete sie amüsiert weiter. Doch genau in dieser letzten Februarwoche veränderte sich mit jedem Tag und zuletzt fast stündlich diese Klarheit. In Italien war ein „Hot-Spot“, wie wir mittlerweile ebenso in unseren Sprachgebrauch aufgenommen haben, entstanden. Hier waren die Zahlen der Infizierten in dieser Woche sprunghaft angestiegen und lagen Ende Februar bei über 1000 und es gab schon fast 30 Todesfälle. Auch in Deutschland gab es schon über 60 Infizierte. Meine Freunde sollten am 3. März ankommen und wir telefonierten in dieser Zeit täglich. Kommt ihr oder kommt ihr nicht? Am Morgen des 3ten flogen sie dann nicht. In Deutschland, im Bundesland Nordrhein-Westphalen, im Landkreis Heinsberg, hatte sich ein nun auch ein Hot-Spot entwickelt. Hier hatten sich mehrere Menschen auf einer Karnevalssitzung infiziert.
Was genau ist das für ein Virus?
In diesen ersten beiden Märzwochen begann nun für Deutschland die Corona-Ära. Das Erste, was man morgens tat, war die Entwicklung anhand der Zahl von Infizierten und Toten vor allem im fast benachbarten Italien und im deutschen Landkreis Heinsberg anzuschauen. Und die Entwicklung war rasant, exponentiell. Die Anzahl der Todesfälle war in Italien von 30 auf über 2000 gestiegen, und auch in Deutschland gab es erste Todesfälle. Hatte man das Virus unterschätzt? Hieß es nicht, dass es zum Großteil sich um einen milden Krankheitsverlauf handele, den manch einer habe und nicht einmal bemerke? Klar war zu diesem Zeitpunkt zumindest, dass es hochinfektiös und bei alten Menschen und Vorerkrankten doch sehr ernst zu nehmen ist.
Es begann die Zeit, wo man sämtliche Infos zu dem Virus aufsaugte. Erfuhr, dass es sich nicht wie beim Grippevirus um einen Virus handelt, der sich jährlich ein neues Kleid anzieht, dessen Gestalt dennoch der Mehrheit der Bevölkerung bekannt ist und gegen den Abwehrmechanismen vorhanden sind. Nein, dies ist ein komplett neuartiger Virus, er trägt nicht nur ein neues Kleid, sondern seine ganze Gestalt ist unbekannt und somit ist gegen ihn noch keine Immunabwehr (Herdenimmunität) vorhanden. Es gibt auch noch keine erforschten behandlungsunterstützenden Medikamente und natürlich noch keinen Impfstoff. Wie erfuhren, dass er aus der Virenspezie kommt, die Verursacher des schweren akuten Atemwegssyndroms (SARS) ist, das 2002 in einer Pandemie 800 Menschenleben gefordert hatte. Ein Virus, das sich in China von Tieren hin zum Menschen „hochmutiert“ hatte. Möglicherweise von bestimmten Katzen- oder Fledermausarten, die über die Nahrung aufgenommen wurden. Auch gibt es Theorien, dass es in Genlabors entwickelt wurde, mit denen Verschwörungstheoretiker gerne ihr Unwesen treiben.
Zwar ist es höchst infektiöse Tröpfcheninfektion, doch der Übertragungsweg erfolgt anscheinend zum absoluten Großteil über den Atem eines Infizierten. Wir kaufen z.B. seit Beginn an täglich in den Supermärkten frische Waren, doch sind hier so gut wie keine Infektionswege festzustellen, es heißt, dass selbst wenn ein Infizierter ein Brot vorher „angenossen“ hat, die Menge nicht ausreiche, um einen Anderen, der das Brot danach angreift, zu infizieren. Ebenso wenig über Türgriffe, Stühle etc. Priorität hat deshalb das Abstand halten und Hände waschen.
Im Gegensatz zu seinem Vorgänger aus 2002 ist das Coronavirus von 2019 jedoch in folgender Hinsicht weiterentwickelt. Es kann sich schon im Rachen gut vermehren und dann effizienter in das Ziel seiner Begehr, die Lunge, gelangen und dort seine eben SARS-typische schwere Lungenentzündung verursachen. Es kann sich zwei Wochen unbemerkt aus einem schon besetzten Körper heraus verbreiten. Das ist die gefährliche Waffe des Virus. Wie es mikroskopisch aussieht, wissen wir inzwischen alle, es ist sicher das am meisten verbreitete Bild des Monats März 2020. Seinen Namen hat es durch das Aussehen seiner Oberflächenstruktur erhalten, das Virus mit der Krone.
Tsunami Dynamik
Es begann hier in Deutschland die Zeit, wo man täglich gespannt die Worte unseres Bundesgesundheitsministers, Jens Spahn (einer der drei Nachfolgekandidaten in der Regierungspartei für Angela Merkel), verfolgte. Mit beeindruckender Ruhe und Sachlichkeit in einer unruhigen und unklaren Situation betonte er immer, dass die Situation „dynamisch“ sei. Dass die Handlungen und Maßnahmen der jeweiligen Dynamik angepasst werden müssen. So waren erste Maßnahmen die Empfehlungen Veranstaltungen mit mehr als 1000 Menschen besser zu unterlassen, Quarantäneregelungen im Hot-Spot Heinsberg oder die Verfolgung von „Infektionsketten“, ein weiteres neues Wort unseres heutigen viralbestimmten Alltags.
Eine neue Phase der Krise haben Mitte März mit Sicherheit dann die Bilder aus italienischen Krankenhäusern auf den Fernsehschirmen in unseren Wohnzimmern ausgelöst. Seit Tagen gab es bereits den parallelen Vergleich mit dem deutschen kleinen Hot-Spot in Heinsberg und dem großen Hot-Spot im norditalienischen Bergamo. Jetzt sah man nackte, leblose Leiber auf den Bauch gelegt an Beatmungsmaschinen, überfüllte Krankenhausflure und provisorische Hallen mit Totkranken. Völlig erschöpfte und überforderte Ärzte, die traumatisiert waren, weil sie täglich persönlich entscheiden mussten, wen sie an die unzureichenden Beatmungsgeräte anschließen und wen nicht. Wen sie sterben lassen und wen nicht. Und selbst mit Beatmungsgeräten starben ihnen die Patienten weg. In uns brannten sich diese Corona-Bilder ein und hallten die Stimmen italienischer Ärzte und Politiker, die uns inbrünstig vor einem Tsunami warnten.
Im Sterben liegt der Unterschied
Spätestens danach waren wir uns hier in Deutschland alle einig. Die Whatsapp-Witze stockten, die Sache war offensichtlich sehr ernst. Der Gedanke, dass ein Eltern- oder Großelternteil in einer Notdurft-Halle ganz alleine bei vollem Bewusstsein mit einer beidseitigen Lungenentzündung qualvoll erstickt, das war für alle ein ganz klares „no go“. Wir wussten natürlich, dass es schlimmere Viren und schlimmere Krankheiten gibt oder dass wir in Deutschland jährlich fast 1 Million Menschen aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen verlieren, fast eine Viertel Million durch Krebs oder über 3000 durch Verkehrsunfälle. Und auch, so versteht sich von selbst, dass die Lebenserwartung älterer Menschen geringer ist als die Junger. Dennoch macht es einen Unterschied, ob die eigene Mutter nach einem Schlaganfall von einem Notarztwagen schnell in eine „Stroke unit“ gebracht und dort bestmöglich behandelt wird oder ob sie von Astronautenmenschen in eine provisorische Halle gebracht wird und dort ganz alleine elendig sterben muss.
Flatten the curve
Und nachdem, was man sich in den letzten beiden Wochen an Wissen über das Virus und dessen Verbreitung draufgeschafft hatte, gab es in aller Unwissenheit und Unklarheit zumindest eine logische Erklärung wie wir ein solches Szenario vielleicht noch verhindern können. Das Gesicht der deutschen Corona-Krise, der international angesehene Virologe Prof. Christian Drosten, Institutsdirektor der Berliner Charité, spezialisiert auf neuartige Viren und erfahren mit dem SARS Vorgänger des COVID 19, erklärte es uns. Wie gebannt hingen wir in diesen Tagen an seinen Lippen. Da es keine medizinischen Maßnahmen gegen die Verbreitung des neuartigen Virus gab und auch unser im globalen Vergleich gut aufgestelltes Gesundheitssystem mit einer gleichzeitigen hohen Anzahl von schweren Fällen überfordert wäre, gab es zu diesem Zeitpunkt, als akuter Handlungsbedarf bestand, um ein Schreckensszenario wie im nahen Italien zu verhindern, nur eine Lösung: „Flatten the curve“ wie es mittlerweile ebenso in unseren Sprachgebrauch übergegangen ist. Die Infektionsrate so niedrig zu halten, dass wir die schweren Fälle auch intensivmedizinisch versorgen können. Und man musste kein Mathematiker sein, um die Diagramme und Videoanimationen dazu zu verstehen. Um die Zahl der Infektionen nicht exponentiell ansteigen zu lassen, gab es zu diesem Zeitpunkt nur eine schnelle realistische nichtmedizinische Lösung, den „Shut-“ oder „Lockdown“ wie es ebenso in unseren Sprachgebrauch übergegangen ist.
Die Vollbremsung im Mercedes
Verbunden war dieser Shutdown bei uns aber auch immer mit der politischen Zusage, dass alles getan wird, um die finanziellen Einbußen dieser unikalen, elementar einschneidenden Maßnahme abzufedern. Unsere „schwarze Null“, also ein ausgeglichener Staatshaushalt, die wir seit 5 Jahren als heilige Kuh behandeln, wurde nun bereitwillig zur Verhinderung dieses Schreckensszenarios geschlachtet.
Dafür stand die deutsche Bundeskanzlerin in ihrer Fernsehansprache an das Volk am 18.3. und es gab darüber kein Gerangel unter den Politikern oder in der Bevölkerung. Im Grunde hatte die Bundeskanzlerin gesagt, ja, wir haben ein Sparschwein, das wir in den letzten Jahren durch die schwarze Null gut aufgefüllt haben und jetzt sind wir bereit, es zu schlachten. Nach geschlossenen Schulen, Kindergärten, partiellen Ein- und Ausreisebeschränkungen, Quarantänebestimmungen, Verbot von Großveranstaltungen, erfolgte nun die Schließung der kompletten Touristik-, Reise- und Freizeitbereiche. Zudem galt für alle Betriebe deutschlandweit soweit als möglich das Homeoffice. Mittlerweile darf man sich öffentlich nur noch zu zweit bewegen oder mit Mehreren, wenn diese aus demselben Haushalt sind, wobei es immer Abweichungen innerhalb der einzelnen Bundesländer gibt, im Bundesland Bayern z.B. darf man nur noch Kontakte innerhalb des Haushalts haben und nur noch aus triftigem Grund das Haus verlassen. Bußgeldkataloge für Zuwiderhandlungen werden veröffentlicht, beginnend von 200,-€ beispielweise wenn man sich mit mehr als 2 Personen im öffentlichen Raum bewegt, bei Wiederholungstat um die 1000,- € und bei Wiederholungstaten von größeren Vergehen wie zum Beispiel der Durchführung einer größeren Freizeitveranstaltung bis zu 25.000 €.
Eng zusammen auf Abstand
Es ist nicht so, dass wir alle wie ein Schafsherde dem Shutdown gefolgt wären, nein, es gab und gibt in den Medien pausenlose Berichte, Dokumentationen, Diskussionen, Extra-, Spezial und Sondersendungen mit Medizinern, Virologen, Finanzexperten, Politikern, Betroffenen, Nicht-Betroffenen, Psychologen, VIPs, Alltagshelden, was auch immer. Nein, es war eine von der absoluten Mehrheit getragene Entscheidung.
Mittlerweile sind wir schon eingefleischte Vertreter des „social distancing“ bzw. korrigieren schon in dem Begriff des „physical distancing“, weitere Begriffe, die nunmehr fest in unseren sprachlichen Alltag gehören. Der Mindestabstand von 1,5 Metern zu Anderen ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Fast erschrecken wir, wenn wir in Filmen Szenen sehen, wie sich Menschen die Hände geben oder gar umarmen. Selbst hier in meinem kleinen Dorf in hessisch Sibirien stehen wir automatisch in Schlangen, immer mit gebührendem Abstand, so versteht sich von selbst. Auch innerhalb der Familie im selben Haushalt wird Abstand gehalten. Die Eltern oder Großeltern sieht man nur noch durch das Fenster neben der Eingangstür und KassiererInnen sind inzwischen alle durch Glasscheiben abgetrennt. Unsere Haut an den Händen ist schon blättrig wie Laub vom ständigen Händewaschen.
Es gibt die Hashtag Aktion #Wir bleiben zu Hause, überall und immer präsent ebenso wie #Wir sagen Danke. Bekannte Persönlichkeiten unterstützen sie in kurzen Videoclips von zu Hause. Der Dank geht an alle Mitarbeiter und freiwilligen Helfer der systemerhaltenen Betriebe und Einrichtungen. So besonders im Gesundheitswesen, wo die Menschen fast 24/7 arbeiten oder auch die KassiererInnen in den Supermärkten, die dem Ansturm von sich um Toilettenpapiergeifernden Hamsterkäufern und einem nicht unerheblichen Restrisiko ausgesetzt sind.
Unser Wirtschafts-Airbag
Am 25.3. hatte man so schnell wie noch nie in der deutschen Geschichte binnen kürzester Zeit einen nachträglichen Bundeshalt verabschiedet, also ganz offiziell nun die heilige schwarze Null mit Siebenmeilenstiefeln hinter sich gelassen und damit insgesamt ein 156 Milliarden Euro schweres Hilfspaket für die Wirtschaft freigegeben. Unternehmen mit bis 5 Mitarbeitern können hier eine rückzahlungsfreie Soforthilfe von 9000,-€, mit bis zu 10 Mitarbeitern, von 15.000,-€ erhalten. Der Antrag kann seit Kurzem online gestellt werden und es seither bricht die Antragsflut nicht ab. Er scheint relativ unkompliziert zu sein und die Antwort erfolgt außerordentlich schnell. Es gibt Berichte von 15 Minuten. Das Geld wird dann ebenso umgehend überwiesen. Für große Unternehmen wurde ein Wirtschaftsstabilisierungsfonds in Höhe von 600 Milliarden Euro aufgesetzt. Vor allem geht es hier darum, dass der Staat (90prozentige) Kreditbürgschaft bei den Banken gewährt. Die Kredite müssen dennoch gänzlich von den Kreditnehmern getilgt werden. Eine elementare Wirtschaftsstütze ist vor allem die Übernahme von Kurzarbeitergeld durch die Bundesagentur für Arbeit. Auch dürfen Vermieter ihren Mietern derzeit nicht kündigen.
Stichtag 20.4.
Wo sind wir heute am ersten Tag nach diesem dynamischen, unikalen, weltveränderndem März 2020? Nach guten zwei Wochen von Shutdown und Social distancing, nach den zwei wohl ungewöhnlichsten Wochen, die wir als deutsche Gesellschaft nach dem Weltkrieg II zusammen erlebt haben? Ja, zweifelsfrei sind wir gerade ein bisschen wie ungeduldige Kinder, die ihr Geburtstagsgeschenk auspacken wollen. Ein Päckchen, in dem sich zumindest ein deutlicher Rückgang der Infiziertenzahlen befindet. Doch haben wir wie in einer Schnitzeljagd vorerst nur einmal ein Zettelchen mit einem Datum gefunden. 20.4. An diesem Tag erhalten wir den nächsten Hinweis.
Nebenwirkungen des „Medikaments Shutdown“
Das Medikament Shutdown war indiziert gegen die defizitäre Behandlung der schweren Fälle und das daraus resultierende würdelose Sterben von –aufgrund der nicht validen Daten- ca. 0, 5 – 10 Prozent unserer Bevölkerung. Die „Compliance“, also die Mitarbeit des Patienten selbst in der Therapie, war und ist noch immer außerordentlich hoch. Gestärkt die Compliance aktuell vor allem durch die Bilder aus New York, durch mit Särgen gefüllte Hallen, durch mit Gabelstaplern transportierten Toten in Leichensäcken, durch traurige „Rekordzahlen“ von über 1000 Covid-19-Toten an einem Tag, wo es vor zwei Wochen noch kein einziges Todesopfer gab. Bei aller Ungenauigkeit der Daten zeigen diese Bilder klar, dass die amerikanische Regierung die Lage zu lange verharmlost und zu spät geschaltet hat. Gestärkt wird die Compliance ebenso mit den schon erwähnten Aktionen wie „Wir bleiben zu Hause, wir sagen Danke“, mit Beispielen von Alltagshelden, die für Risikogruppen einkaufen gehen, die Schutzmasken nähen, die kreative Ideen in der Bewältigung des virusbestimmenden Alltags umsetzen.
Und jetzt eben mit der Nennung eines konkreten Datums, in dem man beginnen kann, das starke Medikament auszuschleichen. Denn klar ist auch, dass es sich um eine klinisch noch nicht erprobte bittere Pille mit unzähligen gefährlichen Nebenwirkungen handelt, die bei längerer Einnahmedauer zunehmen. Diese Nebenwirkungen können je nach Patientengruppe unterschiedlich stark auftreten. Klar, dass das unter diesen Bedingungen dieser geordnete freiwillige Rückzug in die eigenen vier Wände zusammen mit Social distancing für alle kein Leben auf dem Ponyhof ist. Doch für eine intakte fünfköpfige Familie mit einer großen Wohnung und Garten stellt es sich anders dar als für eine Familie mit Potential zu häuslicher Gewalt in einer kleinen Hochhaussiedlung. Was machen deren Kinder gerade durch?
Und sicher auch verträgt der Hersteller von „Defizit-Waren“ wie Atemmasken, Desinfektionsmittel, Beatmungsgeräten die bittere Pille sehr viel besser als der Besitzer eines Restaurants, Cafés oder sonstigen „nicht systemrelevanten“ Ladens, der keine großen Rücklagen hat. Wie geht es gerade all den Menschen, die um ihre Existenzgrundlage bangen? Wie lange werden Jugendliche die bittere Pille schlucken, wenn der Nachbar die Polizei ruft, weil er gerade mit zwei Freunden auf der Straße zusammensteht? Wie tief dürfen Kontroll- und Strafmechanismen in die Freiheitgrundrechte einschneiden?
Zeit zum Sortieren, dynamischer Stillstand
„Wie geht es nach dem 20ten weiter?“ ist die aktuelle Frage, die uns alle bewegt. Doch dazu brauchen wir mehr und konkretere Daten, es bleibt noch immer ein dynamischer Prozess, jeden Tag aufs Neue. Wir hoffen auf einen baldigen validen Antiköper-Schnelltest, der in Arbeit ist und in ca. einen Monat auf dem Markt sein könnte. Nach gegenwärtigem Stand, können Menschen die Covid-19 bereits hatten, weder sich selbst, noch andere neu infizieren und wären somit in der Krise gut einsetzbar. Auch soll die Zahl der Infektionstests deutlich gesteigert werden. Wir machen aktuell klinische Studien mit 3 schon existierenden Medikamenten, die für Covid -19 therapiewirksam sein könnten. Hier gibt es erste Erfolge. „Downgelockte“ Betriebe wie beispielsweise Volkswagen, haben Produktionsbereiche auf die Herstellung von Beatmungsgeräten oder klinisches Zubehör verlegt, andere auf die Herstellung von Schutzmasken, wo sie den Aufträgen gar nicht hinterherkommen. Die Zahl der Intensivbetten wird weiterhin erhöht, medizinisches Personal ausgeweitet und fortgebildet. Unikliniken und Forschungszentren vernetzen sich mehr und mehr. Eine Ethik-Kommission wurde eingerichtet, die den Intensiv-Ärzten Anleitungen in der „Triage“ (Einteilung der Patienten nach Schwergrad in der Notfallstation) geben soll, um ihnen damit die traumatischen Erfahrungen der italienischen Ärzte zu ersparen. Ebenfalls werden neben Intensiv-, Palliativabteilungen mit Zugang für Angehörige angeschlossen.
Anonyme befristete Bluetooth-Tracking Apps werden aktuell von der Regierung beworben. Wir lernen weitere neue Begriffe für verschiedene Strategien: „Mitigation“ ist Kontaktunterbindung im Sinne von flatten the curve, „Suppression“ die Kontaktunterbindung zur völligen Ausmerzung des Virus, „Cocooning“, die Abschirmung der Risikogruppen, „Containment“ so etwa das Gegenteil von Herden-Immunisierung. Und mit den ganzen Zahlen von Toten, Infizierten, Genesenen, sich in Behandlung befindenden, von Riskogruppen sowie den unzuverlässigen Sterberaten modellieren Mathematiker und Virologen die potentielle Zukunft dieser Strategien. So z.B. ein Mathematiker aus Kaiserslautern auf die Frage: Welcher Strategie folgen wir gerade in Deutschland mit flatten the curve – Unterdrückung oder Abschwächung?
„Das hat die Regierung noch nie so ganz konkret gesagt. Zwar sind die Maßnahmen, die gerade gelten, sehr streng. Ich weiß allerdings nicht, ob sie streng und langfristig genug sind, um das Virus erfolgreich zu unterdrücken. Das kommt darauf an, wie stark man die Außerhaushaltskontakte verringern kann. Wenn man sie um etwa 90 Prozent reduziert, dauert es etwas mehr als ein Jahr. Und wenn man erreichen wollte, dass Covid-19 innerhalb eines Jahres verschwindet, müsste man dauerhaft sogar etwa 95 Prozent aller Kontakte außerhalb des Haushalts unterbinden, verglichen mit der Zeit vom 5. bis 20. März. Ich möchte aber betonen, dass wir diese Einschätzungen auf Basis unseres Simulationsmodells getroffen haben. Wie exakt es den tatsächlichen Verlauf der Pandemie beschreiben kann, werden wir, wie bei allen Modellen, erst im Nachhinein sagen können.“
Wir können also erst im Nachhinein sagen, ob die Operation gelungen ist und der Patient es überlebt hat. Gut, dass nicht alleine Mathematiker über das Schicksal des Patienten entscheiden.
Covid-19, die Welt und Menschenrechte
Taktlose Kritik?
Menschenrechtler der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte/IGFM gaben schon mit Beginn der massiven Maßnahmen zu bedenken, dass das Mittel gegen die Pandemie sich als schlimmer erweisen könne, als die Pandemie selbst. Sie führen hierfür unter anderem weltweit resultierende humanitäre Katastrophen sowie das Potential zu staatlichem Missbrauch der Menschenrechte an. Auch zeige die Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen angesichts anderer bekannter und heilbarer Infektionskrankheiten wie bspw. der Tuberkulose mit jährlich weit über 1 Million Opfer, dass die Weltengemeinschaft immer noch weit entfernt ist von einer solidarischen Bewältigung globaler Krisen und Probleme. Sind solche Warnungen und Kritiken in einer Zeit, in der wir nach Italien, Spanien und Frankreich heute mit amerikanischen Bildern von mit Gabelstaplern in Leichensäcken transportierten Covid-19- Opfern konfrontiert sind, taktlos? In einem Ausnahmezustand, in dem wir auf so viel verzichten, so viel riskieren, in der wir alle kleine und große Opfer bringen und uns gegenseitig zu Zuversicht und Durchhaltevermögen animieren. In der wir so stolz sind auf die vielen Alltagshelden, die sich in den letzten Wochen bewiesen haben? Stolz auf eine nie dagewesene Solidarität in schwerer Stund?
Der Takt eines Menschenrechtlers
Für einen Menschenrechtler herrscht im Grunde immer eine schwere Stund, sind Schreckensbilder von Leid und Elend, von Toten, Gefangenen, Gewaltopfern oder humanitären Katastrophen immer im Kopf. Der Appell nach Solidarität schwingt stetig in ihm mit.
Humanitäre Gefahren
Natürlich denkt er bei den Nebenwirkungen des globalen Shutdowns nicht nur an den deutschen Mercedes Fahrer mit seinem Rundumairbag, sondern auch an den indischen Rikscha-Fahrer, den Tagelöhner, der von einem Tag auf den anderen Tag ohne Lohn und Brot dasteht oder den russischen Jungunternehmer, der nicht einmal im Traum auf die Idee einer staatlichen Soforthilfe käme. An die Familien und deren Kinder, die nicht in einem sozialen Grundsicherungsnetz aufgefangen werden. Die damit verbunden sozialen und psychologischen Folgen. Die Gefahr, dass eine Weltwirtschaftskrise für einen großen Teil der Weltbevölkerung eine humanitäre Katastrophe sein kann.
Gefährdung von Grundrechten
Natürlich sieht er das Potential, dass eine solche Krise in der Einschränkung von Grundrechten und –freiheiten mit sich bringt. Während wir hier in Deutschland um die Gefahr der Anwendung einer zeitlich befristeten „Tracking-App“ diskutieren, hat der ungarische Präsident schon ein „Covid-19-Ermächtigunggesetz“ in der Tasche und China längst die unangreifbare „Big Brother is watching you“ Legitimation.
Unverhältnismäßigkeiten
Natürlich vergleicht der Menschenrechtler die Covid-19 Pandemie unter anderem mit der weltweit tödlichsten Infektionskrankheit, der Tuberkulose, deren Erreger ca. 2 Drittel der Weltbevölkerung in sich trägt, die jährlich über eine Million Opfer fordert und gegen die es im Gegensatz zu Covid-19 Heilmittel gibt. Die mit 2 Milliarden Euro jährlich schon längst ausgerottet hätte sein können.
Unzureichende länderübergreifende Strategien
Und natürlich sieht er, dass es keine Vorbereitung gab auf ein solches Krisenszenario, weder national, kontinental, geschweige denn global. Im Gegenteil, reflexartig hat sich die globalisierte Welt in ihre Nationalstaaten zurückgezogen, die Schotten fast gleichsam dichtgemacht. Selbst innerhalb des 27 Jahre alten Staatengefüges der EU. Und während man täglich das Schreckensszenario im norditalienischen Bergamo verfolgte, war es nicht so, dass man dort aus allen Himmelsrichtungen massiv zur Hilfe eilte. Das marode italienische Gesundheitswesen, das nicht zuletzt der rigiden Finanzpolitik innerhalb der EU geschuldet ist, war offensichtlich zu einem gewichtigen Teil verantwortlich für die hohe Zahl der Todesopfer. Und nach allem, was der Süden des Kerneuropas traumatisch erlitten hat, wird aktuell innerhalb seiner staatlichen Solidargemeinschaft vorerst um Finanzhilfen gefeilscht.
Begnadet, wer dies Erdental besucht, in schicksalsschwerer Stund
Dennoch haben die Bilder der leeren Straßen der weltweiten Großstadtmetropolen auch etwas Faszinierendes, etwas Magisches. Und es geht doch! Fast als würde die ganze Menschheit gemeinsam die Erdkugel anhalten. Der gleichsame Rückzug in die nationalen Gefilde bis hin in die eigenen vier Wände war in dieser Situation ein natürlicher und folgerichtiger Reflex. Richtig ist auch, dass wir alle erst einmal Zeit brauchen, um den Schock zu verdauen. Richtig ist auch, dass wir die Menschen feiern, die in dieser Zeit Rückgrat, Zivilcourage und Solidarität gezeigt haben. Diejenigen, die nicht in den Supermärkten um Toilettenpapier gegeifert, sondern den Ansturm an den Kassen bewältigt und „den Laden am Laufen“ gehalten haben. Doch richtig ist es auch nun wieder einen Schritt vor die Tür zu gehen, wir wissen, dass es nur ein Trugbild ist, dass wir den Globus nicht anhalten können, dass die Erde sich weiterdreht. Und das neuartige Virus hat uns gelehrt –und tut es noch-, dass wir alle im selben Supermarkt einkaufen und dass wir auf Menschen mit Rückgrat, Zivilcourage und Solidarität angewiesen sind und nicht auf die, die sich einen Toilettenpapierbunker angelegt haben. Der Zweite Weltkrieg hatte die Erdkugel vor genau 75 Jahren zum Stillstand gebracht und aus diesem globalen-Trauma einen Grundsatzkatalog für eine bessere Zukunft der Weltengemeinschaft aufgestellt: Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte. Diese Erlebnisse aus diesen „traumatischen globalen Stillständen“, tragen ungeheures Leid in sich, doch genau darin birgt sich die Kraft für nachhaltige Verbesserungen in der Zukunft.
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Dr. phil. Carmen Krusch-Grün
Referentin Osteuropa
Internationale Gesellschaft für Menschenrechte, Deutsche Sektion e.V.