Das Gespräch mit Ruslan Kotsaba

Der Widerstand gegen die neue Regierung der Ukraine oder die Kritik an ihr ist hier im Westen Europas oft unmittelbar mit der „pro-russischen“ Position verbunden. Wie „pro-russisch“ sind Sie ?

Ich bin nicht pro-russisch, nicht pro-amerikanisch, nicht pro-europäisch – ich bin pro-ukrainisch. Ich bin ein Patriot der Ukraine, und ich weiß sehr gut, dass dieses ganze Getue über die Geopolitik um die Ukraine ein Wettbewerb ist, der schon über 100 Jahre währt, vielleicht sogar mehr. Dies ist eine geopolitische Konkurrenz zwischen dem amerikanischen und dem russischen Imperium. Und dies geschieht in den Augen eines verwirrten Europas, das unter dieser Konfrontation zwischen Russland und Amerika wirklich leidet.

Wenn der Bürgerkrieg nach Kiew verlegt wird, werden die Flüchtlinge nicht nach Amerika gehen, teils vielleicht nach Russland, hauptsächlich jedoch werden sie nach Europa ziehen. Unsere Flüchtlinge werden sich nicht auf den dortigen Sozialstaat verlassen, sie werden für einen geringen Lohn arbeiten gehen und wir haben qualifizierte Arbeitskräfte. Insofern werden sie den Wettbewerb um Arbeitskräfte für Europa nicht zum Guten beeinflussen.

Das heißt, ich bin pro-ukrainisch, ich sage das immer ausdrücklich. Außerdem glaube ich, dass die Geographie sich nicht verändern lässt. Poroschenko hingegen ist nicht ewig, Putin ist nicht ewig, und Russland war immer unser Nachbar. Auch wenn einige vorhersagen, dass das Imperium fallen wird. Ich war kürzlich in Russland, fuhr mit einem Taxifahrer. Ich sah wie die Bordsteine der Gehwege mit Granit ausgekleidet wurden. Ich sagte zu dem Fahrer, noch ein weiteres Jahr Sanktionen und sie werden sie vergolden. Das heißt, Russland ist wirklich ein geopolitischer Konkurrent, nicht, dass es gewonnen hat – aber es ist stärker geworden.

Das heißt, Sie unterstützen die Zusammenarbeit mit allen Ländern?

Ja, natürlich, wenn es im Interesse der Ukraine ist. Gegenwärtig ist es im Interesse der Ukraine, dass die EU, die Vereinigten Staaten von Amerika und Russland sich am Verhandlungstisch niederlassen und über das Schicksal der Ukraine entscheiden, denn leider ist die Ukraine kein Subjekt der Geopolitik, leider ist die Ukraine ihr Objekt. Und deshalb sollte Poroschenko tun, was immer man ihm sagt. Es muss eine einvernehmliche Lösung geben.

Welche Lösungen schlagen Sie für den Konflikt im östlichen Teil der Ukraine vor?

Zuerst der gegenseitige Austausch aller Gefangenen. Zweitens, die Umsetzung aller Minsker Vereinbarungen. Ich verstehe, dass sie unvollkommen sind, aber sie wurden unterschrieben. Das ist schon ein rechtlicher Grundsatz, nicht einmal mehr eine Frage der Ehre. Wenn Sie sich selbst verantwortungsbewusst nennen, dann müssen Sie ihr Wort halten. Und jetzt sagen sie, dass wir von Anfang an nicht geplant haben, die Bedingungen zu erfüllen, das ist ein Kindergarten. Ein Politiker kann sich nicht mit einem Kindergarten identifizieren. Ich denke, dass alle Abmachungen von Minsk durchgeführt werden müssen. Dort sind eindeutig alle Punkte in der Reihenfolge ihrer Priorität aufgezeichnet. Ich bin für Kommunalwahlen. Ja, vielleicht werden „Maskierte“ an die Macht kommen, aber sie werden ein Vertrauensmandat haben. Die Menschen sowohl auf hinter den Barrikaden, als auch die auf der anderen Seite an der Front, wollen Frieden. Das heißt, es wird eine Art Eigenverantwortung geben.

Definieren Sie sich als Ukrainer?

100%. Außerdem bin ich ein ukrainischer Patriot. Ich stamme aus einer Familie, die schon ukrainisch war als es noch keine Ukraine gab. In der Sowjetzeit, unter Stalin kam meine Großmutter wegen Artikel 58 (Vaterlandsverrat, Anmerk. des Übersetzers) ins Konzentrationslager. Ich war Mitglied der ukrainischen Helsinki-Gruppe, die eine antisowjetische Untergrundorganisation war. Ich bin für die Ukraine, ich bin gegen Russland und Amerika, gegen die Europäische Union, die alle mit ihren skrupellosen Ratschlägen zu uns kommen.

Wie reagieren die Ukrainer auf Sie?

Das ist verschieden. In Verbindung mit der Tatsache, dass es in der Ukraine (wie ich es formuliere) einen Bürgerkrieg gibt, oder kultivierter ausgedrückt, eine bürgerliche Konfrontation, die im industriellen Teil der Regionen Donezk und Lugansk Anzeichen eines bewaffneten Konflikts aufweist. Angesichts der Tatsache, dass wir eine bürgerliche Konfrontation haben, so geht diese sogar bis in die Familien hinein, die Ehefrau ist für das Eine, der Ehemann für das Andere, die Tochter … alle sind miteinander verstritten. Je nachdem welcher Propaganda sie unterliegen (und die Propaganda ist entweder pro-russisch oder pro-amerikanisch), so behandeln sie mich. Tatsächlich bin ich jetzt populär unter jenen Leuten, die den Krieg beenden wollen und Patrioten der Ukraine sind. In einer solchen Gesellschaft, die sich in „Stricken“ und „Sticken“ unterteilt, bin ich „repräsentativ“. Das heißt, jene Leute, die wissen, dass ein weiteres Jahr des Krieges den Staat zerstören wird. Bei den „Strickenden“ bin ich zudem beliebt, weil ich schon immer für den Frieden bin. Ich bin Pazifist. Verstehen Sie, diese ganze Spaltung ist nur künstlich. Der Hauptpunkt ist, dass du siehst, dass die Ukraine „untergeht“ und dass du entweder bereit bist dagegen etwas zu tun oder deine Koffer packst. Ich bin ein Patriot der Ukraine, ich liebe die Ukraine, und ich will einen normalen Staat für meine Kinder. Ich möchte kein Dünger für einen anderen Staat sein.

Gibt es Bürger der Ukraine, die Sie für einen Verräter halten?

Ja natürlich. Ein Teil der Zombie-Leute, die glauben, dass ein Krieg politische Siege erreichen kann. Der Krieg hat niemandem den Sieg gebracht, den politischen Sieg. Politische Probleme werden politisch gelöst. Diese Geschichte beweist es. Du kannst ein Volk durch Krieg überwältigen, es zerstören. Und was dann?

Wie reagieren Sie auf eine solche Einschätzung Ihrer Landsleute?

Sie sind einfach Propagandaprodukte. Es sind unglückliche Menschen. Wenn ich mit ihnen persönlich rede, kann ich sie überzeugen. Aber das ist schwierig aufgrund der Tatsache, dass ich auf der schwarzen Liste stehe, gebannt werde, und keinen Zugang zu denen habe, die über mich schlecht reden, außer auf dem Newsone-Kanal und meinem eigenen sozialen Netzwerk, das von den Schlechtrednern nicht besucht wird. Schauen sie sich nur das Beispiel an als fast alle Medien darüber berichtet haben wie der „rechte“ Bik Kotsaba angefallen hat (Oleksii Bik, rechter sogenannter Kriegsheld, hatte Kotsaba am 12.12. auf der Haupteinkaufstraße in Kiew am helllichten Tag während seiner Interviewtätigkeit attackiert und geschlagen, Anmerk. des Übersetzers).

http://novostidnja.ru/blog/43371044896/Pravosekovskiy-Byik-izbil-v-tsentre-Kieva-zhurnalista-Kotsabu?utm_campaign=transit&utm_source=main&utm_medium=page_0&domain=mirtesen.ru&paid=1&pad=1

Doch nur zwei Medien, „Gromadsk Radio“ und „Korrespondent“, riefen mich an, um meinen Standpunkt zu erfahren. Alle anderen- null. Das zeigt, dass wir keinen Journalismus haben. Es gibt „Medienstricher“. Denn wenn du ein Konfliktthema offen legst, sollte es mindestens zwei Seiten offen legen, besser drei, noch die Seite des Experten. Aber wenn sie dir mit so schmackhaften Schlagzeilen wie „Kriegsheld gab pro-russischen Journalisten eins auf die Schnauze“, oder einem „anti-ukrainischen Journalisten oder Blogger“ … noch eins drauf geben, dann ist alles klar, da braucht man nicht einmal mehr den Inhalt zu lesen. Und dies alles trotz der Tatsache, dass ich der einzige Journalist in der Zeit der unabhängigen Ukraine war, dem die journalistische Akkreditierung noch innerhalb der Mauern der damaligen Regierung entzogen wurde.