Entsetzen nach Gräueltaten in Butscha

 

Die Entdeckung getöteter Zivilisten bei Kiew hat international Entsetzen ausgelöst. Der russischen Armee werden Kriegsverbrechen vorgeworfen. Der Kreml wies die Anschuldigungen zurück. Kanzler Scholz kündigte weitere Sanktionen der Verbündeten an.

Mit der Rückeroberung der Region um die Hauptstadt Kiew hat sich der ukrainischen Armee ein Bild des Schreckens geboten. Die russischen Streitkräfte hätten „eine totale Katastrophe und zahlreiche Gefahren“ hinterlassen, schrieb Präsident Wolodymyr Selenskyj bei Facebook. Er warnte vor vermintem Gebiet und weiteren Luftangriffen.

In der Kleinstadt Butscha wurden zahlreiche Tote gefunden. „Alle diese Menschen wurden erschossen“, sagte Bürgermeister Anatoly Fedoruk. Die Straßen seien mit Leichen übersät. Es stünden Autos auf den Straßen, in denen „ganze Familien getötet wurden: Kinder, Frauen, Großmütter, Männer“. Nach Angaben des Bürgermeisters mussten 280 Menschen in Butscha in Massengräbern beigesetzt werden, da die drei städtischen Friedhöfe noch in Reichweite des russischen Militärs lagen.

Selenskyj: „Das ist Völkermord“

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj beschuldigt Russland des Völkermordes in der Ukraine. „Gewiss, das ist Völkermord“, sagt Selenskyj im US-Sender CBS. „Die Auslöschung einer Nation und seines Volkes.“ Die Bürger der Ukraine wollten sich nicht der Politik der Russischen Föderation unterwerfen. „Das ist der Grund warum wir zerstört und ausgerottet werden.“

Selenskyjs Berater, Olexij Arestowytsch, verglich die Schauplätze in den Vororten Kiews mit „einem Horrorfilm“. Manchen Opfern sei in den Kopf geschossen worden und ihre Hände seien gefesselt gewesen, und einige der Leichen wiesen Folterspuren auf. Er beschuldigte die russischen Truppen, die Frauen vergewaltigt und versucht zu haben, ihre Leichen zu verbrennen.

Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko warf den russischen Truppen Kriegsverbrechen vor. „Das, was in Butscha und anderen Vororten von Kiew passiert ist, kann man nur als Völkermord bezeichnen“, sagte er der „Bild“-Zeitung. Es seien grausame Kriegsverbrechen, die der russische Präsident Wladimir Putin zu verantworten habe. Es seien Zivilisten mit verbundenen Händen erschossen worden.

Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba forderte wegen zunehmender Belege für an Zivilisten verübte Gräueltaten in den Vororten der Hauptstadt Kiew härtere Sanktionen gegen Russland. Er sprach von einem Massaker an Zivilisten. Er twitterte, die Tötungen seien vorsätzlich und fügte hinzu, die „Russen versuchen, so viele Ukrainer zu eliminieren, wie sie können“.

Weiß schraffiert: Vormarsch der russischen Armee. Grün schraffiert: von Russland unterstützte Separatistengebiete. Krim: von Russland annektiert. Bild: ISW/02.04.2022

EU-Kommissionschefin spricht von Kriegsverbrechen

Die Entdeckungen lösten auch international Entsetzen aus. EU-Ratspräsident Charles Michel warf den russischen Truppen vor, in Butscha ein Massaker angerichtet zu haben. Die EU werde beim Sammeln von Beweisen helfen, um die Verantwortlichen vor internationale Gerichte stellen zu können. Zugleich kündigte er weitere EU-Sanktionen gegen Russland und Unterstützung für die Ukraine an.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach von „unaussprechlichen Horrorszenen“. Auf Twitter verlangte sie eine unabhängige Untersuchung. Zugleich versicherte sie, dass die Verantwortlichen für Kriegsverbrechen zur Rechenschaft gezogen würden.

Scholz: Der Krieg „muss aufhören“

Bundeskanzler Olaf Scholz sagte: „Diese Verbrechen des russischen Militärs müssen wir schonungslos aufklären. Ich verlange, dass internationale Organisationen wie das Internationale Komitee vom Roten Kreuz Zugang erhalten zu diesen Gebieten, um die Gräueltaten unabhängig zu dokumentieren.“ Zudem forderte er Moskau auf, „endlich in einen Waffenstillstand einzuwilligen und die Kampfhandlungen einzustellen. Es ist ein furchtbarer, ein sinnloser und ein durch nichts zu rechtfertigender Krieg, der viel Leid erzeugt und niemandem nutzt. Er muss aufhören.“

Scholz machte auch deutlich: „Wir werden im Kreis der Verbündeten in den nächsten Tagen weitere Maßnahmen beschließen.“ Deutschland werde der Ukraine weiter Waffen liefern, damit diese sich gegen Russland verteidigen kann.

Auch Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kündigte härtere Sanktionen gegen Moskau und weitere Hilfen für das ukrainische Militär an. Die Bilder der „hemmungslosen Gewalt“ aus dem Ort Butscha nahe der ukrainischen Hauptstadt Kiew nach dem Rückzug der russischen Truppen seien „unerträglich“, schrieb Baerbock bei Twitter. „Die Verantwortlichen für diese Kriegsverbrechen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.“

Habeck kündigt härtere Sanktionen an

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck forderte ebenfalls rasch härtere Sanktionen gegen Russland. Einen von Deutschland selbst verhängten Importstopp etwa für russische Gas- und Öllieferungen lehnte er aber im ZDF weiter ab. „Wir verfolgen ja eine Strategie, uns unabhängig von russischem Gas, von Kohle, vom Öl zu machen, nur eben nicht sofort“, so Habeck.

Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht hatte zuvor im Bericht aus Berlin erklärt, nach den Vorgängen in Butscha müsse auch das Thema Energielieferungen Gesprächsgegenstand weiterer Konsequenzen sein. Auch über das Thema Stopp von Gaslieferungen müsse im Kreise der EU-Minister gesprochen werden.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erklärte, „die von Russland verübten Kriegsverbrechen sind vor den Augen der Welt sichtbar“. Die Bilder aus Butscha erschütterten zutiefst. „Die Repräsentanten der Ukraine haben jedes erdenkliche Recht, Russland anzuklagen und Solidarität und Unterstützung ihrer Freunde und Partner einzufordern.“

Britische Außenministerin entsetzt über Gräueltaten

Die britische Außenministerin Liz Truss schrieb bei Twitter, sie sei „entsetzt über die Gräueltaten in Butscha und anderen Städten“. Mutmaßliche Angriffe auf Zivilisten in der Ukraine müssten als Kriegsverbrechen untersucht werden. Großbritannien würde einen solchen Schritt durch den Internationalen Strafgerichtshof unterstützen.

„Mit dem erzwungenen Rückzug russischer Truppen gibt es immer mehr Beweise für entsetzliche Taten der Invasoren in Orten wie Irpin oder Butscha“, teilte Truss mit. „Willkürliche Angriffe auf unschuldige Zivilisten während der unrechtmäßigen und ungerechtfertigten Invasion Russland in die Ukraine muss als Kriegsverbrechen untersucht werden.“

Russland dementiert Massenmord in Butscha

Die russische Regierung wies die Verantwortung für die Tötungen in Butscha zurück. Jegliches von der Ukraine veröffentlichte Bild- und Filmmaterial in diesem Zusammenhang stelle eine Provokation dar, berichtete RIA unter Berufung auf das russische Verteidigungsministerium. Alle russischen Einheiten hätten Butscha am 30. März verlassen, meldete die Agentur Interfax.

 

Quelle: tagesschau.de