Beeindruckende Frankfurter Osteuropakonferenz zum Thema Desinformation

Facebook, Twitter, Instagram

Zunehmend Mittel zur Desinformation und Manipulation in Osteuropa

„Medien, Meinungsmache, Menschenrechte in den Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland/ÖPR“ lautete der Titel des einjährigen Projekts, das am 6./7.12. 2019 mit einer Abschlusskonferenz am Sitz der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in Frankfurt/Main endete. Die Vertreter der im Projekt beteiligten Länder Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau, Ukraine sowie Russland kamen dabei zu dem Ergebnis, dass die sozialen Netzwerke für die Beschaffung von Informationen eine immer größer werdende Rolle spielen und die Printmedien von Platz 1 verdrängt haben, und daher mehr denn je zuvor von Regierungen, aber auch für private Zwecke zur Manipulation von Meinungen und zur gezielten Desinformation genutzt werden. Sie stellen gerade in den Ländern, in denen die Medien in der Hand der Regierungen oder Oligarchen sind, eine unmittelbare Gefahr für die freie Meinungsbildung, für Demokratie und Rechtsstaat dar.

Die Sektionen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte aus den Ländern der östlichen Partnerschaft (Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau, Ukraine) und Russland/ÖPR, hatten sich im Herbst letzten Jahres einstimmig dazu entschlossen, sich dem Thema Desinformation in den Medien zu widmen. Ein aktuelles Thema, dass gerade in ihren Ländern von besonderer Bedeutung für machtpolitische Lenkungsmechanismen ist.  

Einladung zur Veranstaltung in Belarus

Längst bestimmt das Smartphone das Straßenbild in Osteuropa, die Großstädte strotzen zum Teil nur so vor Internet-Modernität und halten Vergleichen mit westlichen IT-Standards jederzeit stand. Auf den ersten Blick ein Widerspruch, moderne Freiheiten versus alte Grenzen. Doch durch die Berichterstattung über zahlreiche politische Affären ist für jedermann ersichtlich, dass das Internet nicht nur Medium der globalen Freiheit ist, sondern auch zur Beeinflussung von Menschenmassen gezielt eingesetzt wird. Fake-News sind keine Erfindung westlicher Medien, sondern in der Ländern der Östlichen

Partnerschaft und Russland IT-Alltag, dem ihre Bürger täglich ausgesetzt sind. Seit vier Jahren befassen sich die Sektionen der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte in den genannten Ländern mit der Nutzung des Internets und den Möglichkeiten des Austauschs von Informationen über die Lage der Menschenrechte in ihren Ländern, in diesem Jahr wandten sie sich mit Förderung des Deutschen Auswärtigen Amtes dem Thema Desinformation zu. In jedem Land konnten sie drei Informationsveranstaltungen zum Thema durchführen.

In einem gemeinsamen Arbeitswochenende in Frankfurt a.M. wurden die Resumees vorgestellt.

Trotz des brisanten Thema und der Vorträge erstklassiger Kenner der osteuropäischen Medienszene blieb die Konferenz von deutschen Medien weitgehend unbeachtet, was zusätzlich Wasser auf die Mühlen derjenigen gab, die sowieso der Meinung sind, dass in Westeuropa das Interesse an der Politik in Osteuropa stetig abnimmt und sich eher auf Sanktionen stützt, wenn etwas schief gelaufen ist, statt in positivem Sinne die Chancen zu nutzen, politischen Einfluss zu nehmen. Dessen ungeachtet, zeigten alle anwesenden Gäste ernsthaftes Interesse trotz der sehr spezifischen Vorträge, die den Zuhörern einiges abverlangten.

14 Vertreter aus allen Ländern der Östlichen Partnerschaft und Russland am Konferenztisch mit Frankfurter Politikern, sowie ROG, rferl, HSFK und natürlich IGFM

An dem Konferenztisch saßen neben den 14 Menschenrechtlern aus Armenien, Aserbaidschan, Belarus, Georgien, Moldau, Ukraine und Russland 11 weitere Teilnehmer, die man am besten so beschreiben kann, wie es der in Russland bekannte Menschenrechtsjurist und Vorsitzende der dortigen IGFM-Sektion, im Eingang seines Vortrags formuliert hat: Ich freue mich, mich in einem Kreis von Gleichgesinnten zu bewegen!“ Eine Feststellung, die auf jeden der Teilnehmer zutrifft, die sich in ihren Ländern für Menschenrechte, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einsetzen und für den dieses Engagement mit dem persönlichen Risiko der Einschränkung seiner Freiheiten und Schlimmeren einhergeht.

rechts: Martina Feldmayer, MdL, die GRÜNEN; links: Prof. Matthias Zimmer, MdB, CDU, Mtgl. Ausschuss Menschenrechte

Die Frankfurter Landtagsabgeordnete der Grünen, Martina Feldmayer (Bild, rechts), begrüßte vor Beginn der Konferenz jeden einzelnen persönlich und hieß sie/ihn willkommen. Der Frankfurter Bundestagsabgeordnete und Vertreter des Ausschusses für Menschenrechte, Prof. Matthias Zimmer von der CDU/CSU (Bild, links), hatte sich diesem Vormittag ungeachtet eines wichtigen privaten Termins die Zeit für die persönliche Begegnung genommen. Sehr begrüßt wurde die Vertreterin aus der Frankfurter Osteuropaforschung, Vera Rogova von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung, die hoffen lässt, dass hier an der Schnittstelle zwischen Forschungs- und NGO-Arbeit Synergien aufgebaut werden können.

rechts: Vera Rogova, Osteuropawissenschaftlerin, Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung in Frankfurt

Der Präsident der IGFM, Prof. Dr. Thomas Schirrmacher beschrieb die Zivilcourage der ÖPR- Menschenrechtler noch einmal anders herum: „Wir mit einem deutschen Pass können auf der ganzen Welt leicht reden von Menschenrechten“. Kaum ein anderer Pass sei in dieser Hinsicht besser, das Deutsche Auswärtige Amt lasse einen im Problemfall nicht alleine, reagiere schnell und professionell, so seine persönliche Erfahrung.

v.l.n.r.: Karl Hafen, ehem. 1. Vors. und Geschäftsführer der IGFM, Deutsche Sektion e.V., Prof. Dr. mult. Thomas Schirrmacher, Präsident der IGFM international, Dr. phil. Carmen Krusch-Grün, Osteuropaabteilung IGFM, Deutsche Sektion, Dimitrij Rahr, Dolmetscher, Dr. Saadat Benanyarli, 1. Vors. IGFM-Aserbaidschan, Vizepräsidentin im Internationalen Rat,- bei ihrem Vortrag

Karl Hafen, ehemaliger Geschäftsführer der IGFM und Mitgründer der Sektionen Russland und Ukraine, als Wahlbeobachter und in anderer Funktion mehrfach in Ländern der Östlichen Partnerschaft, skizzierte kurz die enge und jahrzehntelange Bindung der IGFM zu den heutigen ÖPR-Ländern und überraschte mit einem mitgebrachten Originalartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Oktober 1987, auf dem es in großen Lettern lautete: „IGFM-Gruppe in Moskau gegründet“.

Originalartikel aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vom 7. Oktober 1987, auf dem es in großen Lettern lautete: „IGFM-Gruppe in Moskau gegründet“.

Historische Gemeinsamkeiten stellten sich auch mit Radio Liberty/Radio Free Europe heraus, wo der Vater des Dolmetschers der Konferenz (Bild Mitte), der russische Exil-Journalist und Mitbegründer der IGFM, von 1974-1995 tätig war. Der Vollblutjournalist des amerikanischen Medienriesen, Rikard Joswiak (Bild rechts), spezialisiert auf die Berichterstattung über die EU in Brüssel und die Länder der Östlichen Partnerschaft, glänzte in seinem Gastbeitrag durch seine anschauliche Beschreibung der Tätigkeit der europäischen East StratCom Task Force in Brüssel, einer Spezialeinheit zum Aufspüren von russischsprachigen Fake-News, Trollangriffen und Desinformationsaktivitäten.

rechts: Rikard Joswiak, Fradio Free Europe, Radio Liberty/rferl, Prag/Brüssel, Mitte: Dimitrij Rahr, Dolmetscher, Sohn des IGFM-Mitbegründers Gleb Rahr

Gastredner Jens-Uwe Thomas von Reporter ohne Grenzen/ROG hatte aus der deutschen Hauptstadt den noch frisch gedruckten neuen ROG-Bericht „Alles unter Kontrolle?“ zur Interzensur in Russland mitgebracht, der mit der Vorstellung inhaftierter Journalisten und Blogger dokumentarisch vor Augen führte, was es heißt, mit zur Wahrheit verpflichteter Berichterstattung ein persönliches Risiko auf sich nehmen. Als Länder mit besonders hohem Risiko stufte der ROG-Vertreter innerhalb des ÖPR-Raums Russland und Aserbaidschan ein.

rechts: Jens-Uwe Thomas, Reporter ohne Grenzen/ROG, Berlin

noch frisch aus dem Druck, die Dokumentation von ROG – ein „MUSS“ zum Thema

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Fotos und Infos zu allen 21 Veranstaltungen im gesamten ÖPR-Raum bis hin in abgelegene Regionen finden Sie hier auf Humanrights-Online. Alle Frankfurter-Konferenzbeiträge wurden in voller Länge per Audioaufnahme festgehalten und können Interessierten gerne zur Verfügung gestellt werden.

Erste gemeinsame Ergebnisse des Projekts können an dieser Stelle schon festgehalten werden:

Typisch für die Länder der Östlichen Partnerschaft und Russland, ist:

die Konzentration der Medien unter staatlichen und/oder oligarchischen Strukturen.

Staatliche Strukturen in der Medienwelt können in autokratischen, repressiven Staatsgebilden gleichsam in viele gesellschaftliche Bereiche einwirken. Sie können einerseits dauerhaft gezielt den Bürger in seiner Meinung beeinflussen, sie können private Medien bis hin zum kleinen Blogger kontrollieren und strafrechtlich verfolgen und die Zivilgesellschaft durch eine Politik der Verängstigung schwächen.

In Russland gibt es heute bspw. eine ungeheure, unübersichtliche Zahl an Einschränkungen, die zu repressiver Politik führen; letztes Beispiel ist die Verschärfung des Paragrafen über ausländische Agenten, wodurch gegen Privatpersonen, die nur des Kontakts zu solchen Beschuldigten bezichtigt werden, eine Freiheitstrafe von bis zu drei Jahren verhängt werden kann.  Beispielsweise § 288 StGB-Russland über die Tätigkeit als Extremist: Ursprünglich nur für den Umgang mit Terroristen geschaffen, grenzt er den Terrorismus nicht ab, so dass dieses Gesetz auch gegen missliebige Organisationen Anwendung finden kann und findet.

Doch auch weniger gebündelte Machtkonzentration, kann Pluralismus und Medienvielfalt entgegenstehen. So konstatiert Armenien bspw.: „Wir genießen nach der samtenen Revolution im Grunde absolute Meinungsfreiheit, doch stehen unsere Journalisten schlichtweg in Abhängigkeit zu ihren Arbeitsgebern, und das sind Oligarchen des alten autoritären Regimes.“

Die in den ehemaligen Sowjetländern historisch bedingte schwach ausgebildete Rolle der Zivilgesellschaft ist diesem modernen Strategiespiel nicht gewappnet. So berichtet die IGFM Sektion Weißrussland, dass sie innerhalb dieses Projekts in ihrem Land die Ersten waren, die das Thema Desinformation in den Medien überhaupt zum Thema der Diskussion gemacht haben. Eine Stärkung der Zivilgesellschaft sei eine prioritäre Aufgabe, denn nur eine starke Zivilgesellschaft könne Desinformation entgegenwirken.

Durch die defizitäre pluralistische Medienlandschaft nimmt die Bedeutung von sozialen Netzwerken in diesen Ländern zu. So konstatierte Aserbaidschan: „Soziale Netzwerke sind zur wichtigsten Informationsquelle geworden, und sie werden als Quelle auch von den Medien und der Presse genutzt.“ Doch Insgesamt sei es in dieser „offenen-geschlossenen“ Medienwelt kaum mehr nachprüfbar, was nun Information oder Desinformation sei.

Alle Vertreter der ÖPR-Länder dankten der IGFM Sektion Deutschland und dem Deutschen Auswärtigen Amt für die Förderung dieses Projektes. So hatten sie die Möglichkeit, Menschen in ihren Ländern dort abzuholen, wo sie sich heute befinden. Einerseits schon längst in der hochmodernen, faszinierenden, freien Welt des World Wide Web und doch andererseits noch immer ein Stück hinter dem Eisernen Vorhang.

Gemeinsam stellten sie fest, dass dieses Projekt und ihre jeweils drei in ihren Ländern durchgeführten Informationsveranstaltungen über die Desinformation in den Medien wichtig und bedeutend waren und auch nach Projektabschluss nicht an Bedeutung und Aktualität verlören.

Im Gegenteil, diese Arbeit sollte unbedingt fortgeführt und ausgeweitet werden. Gerade in ihren Ländern bestehe ein immenser Gesprächs- und Aufklärungsbedarf zum Thema, und da sich die Probleme in der ÖPR-Ländern ähneln, vor allem aber auch im Zusammenhang mit ihrer Menschenrechtsarbeit oft ernsthafte persönliche Risiken mit sich bringen, sei gerade die Zusammenarbeit und Solidarität ganz wichtig.

Und Solidarität benötige man nicht nur unter den ÖPR-Ländern, sondern auch international!

#CivilSocietyCooperation