Vladimir Novitski, Präsident der IGFM-Sektion Russland: “Die Menschen haben Rechte und auch das Recht, sie zu verteidigen”

Interview und Stellungnahme zu Russlands neuem NGO-Gesetz

Am 21. November 2012 nach dem Inkrafttreten des NGO-Gesetzes über “ausländische Agenten”, müssen alle gemeinnützigen Organisationen in Russland, die sich politisch engagieren und für ihre Arbeit finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, ihre öffentlichen Dokumente mit dem Begriff “ausländischer Agent” versehen. Sie sind zu einer zusätzlichen Berichterstattung über ihre Tätigkeit verpflichtet und müssen sich unabhängig von ihrem Budget einer obligatorischen Buchprüfung unterziehen. Die Behörden sind verpflichtet, ein spezielles Register solcher Organisationen führen.

Für die obligatorische Aufnahme in ein solches Register ist es egal, ob die Organisation einen Dollar oder einen Cent erhalten hat, ob der Grantgeber oder Spender ein ausländischer Staat, eine internationale Organisation (selbst wenn Russland deren Mitglied ist), ein Ausländer oder ein Staatenloser ist.

Vladimir Novitski RA, Präsident der IGFM-Sektion Russland

Politische Tätigkeit wird laut Gesetz definiert als “Beteiligung (einschließlich Finanzierung) an der Organisation sowie an politischen Aktionen, die darauf abzielen, auf staatliche Entscheidungen Einfluss zu nehmen, die darauf ausgerichtet sind, solche Entscheidungen zu ändern sowie die öffentliche Meinung entsprechend zu beeinflussen.”

Dieses Gesetz, das gravierende Änderungen in die Gesetze “Über nichtkommerzielle Organisationen” und “Über gesellschaftliche Organisationen” eingeführt hat, sieht vor, dass “Materialien, die von nichtkommerziellen Organisationen herausgegeben werden, die die Funktion eines ausländischen Agenten erfüllen, und/oder Materialien, die von ihnen verbreitet werden, darunter über Medien und/oder das Internet-Telekommunikationssystem, müssen mit der Kennzeichnung versehen sein, dass diese Materialien von einer nichtkommerziellen Organisation verbreitet werden, die die Funktion eines ausländischen Agenten ausführen”.

Die Nichteinhaltung dieser Vorschriften zieht folgenschwere Konsequenzen für die NGO und deren Vorsitzenden nach sich bis hin zur Schließung der NGO.

Interview mit Vladimir Novitski, dem Präsidenten der russischen Sektion der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte/IGFM und Rechtsanwalt, zu Fragen, wie das Gesetz mit den international geltenden Normen zu vereinbaren ist und mit welchen Folgen die NGOs zu rechnen haben.

Herr Novitski, das Gesetz war noch nicht in Kraft, als die Presse schon eine Mitteilung über die Kontrolle der Tätigkeiten von sogenannten “ausländischen Agenten” wie z.B. der Moskauer Helsinki Gruppe, des Menschenrechtszentrums “Memorial”, der Transparency International u.a. erschienen war. Inwieweit ist ein solches Handeln rechtmäßig?

V.N.: Wenn wir von der Einführung eines solch unrechtmäßigen Begriffes wie “ausländischer Agent” sprechen, möchte ich auf den offensichtlichen politischen Charakter des verabschiedeten Gesetzes hinweisen, das durch keinerlei innere Notwendigkeit erzwungen war. Es war ganz offensichtlich die Aufgabe, die unabhängige bürgerliche Menschenrechtstätigkeit sowie politische Erklärungen und Auftritte gemeinnützigen Organisationen einzuschränken.

“Ausländischer Agent” ist aus abstrakter Sicht eigentlich ein neutraler Begriff, aber im Rahmen der in Russland entstandener Traditionen vermittelt er seinem Träger einen äußerst negativen Ruf. Ein ausländischer Agent, das ist ein Spion, Vollzieher eines fremden Willens, schon immer, sowohl in der Zarenzeit als im sowjetischen und heutigen postsowjetischen Russland hat er eine negative Reaktion in der Bevölkerung ausgelöst, als “Diener fremder Herren”.

 

Waren denn solche “Diener” gemeinnützigen Organisationen, die Grant-Mittel aus internationalen oder ausländischen Hilfsfonds erhielten oder erhalten werden?

V.N. Ich denke nicht. Kein einziger ausländischer Fond hat je der einen oder anderen Organisation, darunter der Moskauer Helsinki Gruppe, der Bewegung “Für die Menschenrechte” und anderen, die Verfolgung seiner eigenen politisch-lobbyistischen Interessen oder der Interessen des Landes, das den Grant vergab, vorgeschrieben.

Schon gar nicht internationale Organisationen oder private Stiftungen, die unabhängige Bürgerrechts- und Menschenrechtsorganisationen in Russland unterstützt haben. Ich kenne keine Zuschüsse, die darauf ausgerichtet wären, den russischen Staat zu unterminieren, einen illegalen Machtwechsel in Russland herbeizuführen, unbegründete Kritik an Handlungen dieser oder jener staatlichen Institutionen oder Staatsdiener zu üben.

Im Gegenteil, alle Förderungsaktivitäten der EU, der OSZE und anderer privater oder internationaler Stiftungen in Russland waren auf die Entwicklung der Zivilgesellschaft, den rechtlichen Schutz von Minderheiten (religiöser, ethnischer, etc.), die Unterstützung unabhängiger Medien, die Durchführung verschiedener gemeinnütziger sozialer Aufgaben ausgerichtet.

Daher haben alle Menschenrechtsorganisationen zweifelsfrei eine reale Unterstützung dem russischen Staat geleistet, weil sie zur Bildung neuer bürgerlicher Strukturen beigetragen haben, zur Schaffung eines objektiven Meinungsbildes über die in Russland stattfindenden Prozesse. Weil sie die Rechte sozial Schwacher, Bedürftiger, Senioren, kinderreicher Familien, Waisenkindern, die der Inhaftierten und Minderheiten verteidigten. Das heißt, sie haben die Zivilgesellschaft gestärkt.

Selbst bei der Durchführung von öffentlichen Wahlbeobachtungen, egal auf welcher Ebene sie auch stattfanden, haben sich die NGOs nie in den politischen Prozess eingemischt, sondern stets eine objektive Beurteilung abgegeben, wie z.B. die Assoziation “Zum Schutz der Wählerrechte GOLOS” (Die Stimme).

Jetzt zum Begriff der politischen Tätigkeit. Nach dem Gesetz über ausländische Agenten könnte ihr jede NGO-Initiative zugeordnet werden, denn jede öffentliche Aktion übt immer einen direkten oder indirekten Einfluss auf die öffentliche Meinung aus und kann damit dementsprechend direkt oder indirekt behördliche Entscheidungsprozesse beeinflussen, sofern die Regierung einen Wert auf die Meinung im Volk legt.

Daher trägt jegliche gesellschaftliche Tätigkeit einen mittelbaren politischen Charakter, denn die Aufgabe jeder Bürger- und Menschenrechtsorganisation ist, unabhängige Beurteilungen über das Handeln staatlicher Behörden – wie der unterster so auch der höchsten Ebene – in Angelegenheiten abzugeben, die Bürger- und Menschenrechte betreffen. Und damit wie die Beurteilung dieser Strukturen oder deren Entscheidungen seitens des einfachen Bürgers sowie diese Strukturen selbst zu beeinflussen.

Daher gab es für die Einführung des Begriffs “ausländische Agenten” keine reale Notwendigkeit.

Was denken Sie, ist das ist eine Demonstration der Stärke, oder umgekehrt, zeugt es von der Schwäche der Machtstrukturen, ihrer Unfähigkeit, die Aktivitäten der NGOs zu kontrollieren?

VN: Dieses Gesetz wird in der ersten Zeit einen demonstrativ-mahnenden Charakter tragen. Aber unter bestimmten Konstellationen seitens der Regierung in Verbindung mit diesen völlig vagen Formulierungen des neuen Gesetzes über Landesverrat und einer breiten Palette von Interpretationsmöglichkeiten für extremistische Handlungen, wird das geänderte NGO-Gesetz unabhängige demokratische Prozesse blockieren, die Zivilgesellschaft zerstören, politische Prozesse gegen Bürgerrechtler in Gang setzen.

Daher stehen diese Gesetze im fundamentalen Widerspruch zur Verfassung der Russischen Föderation, höhlen den Sinn im Hinblick auf die Ausübung der Bürger ihrer Rechte und Freiheiten aus. Folglich haben die NGOs und andere interessierte Personen allen Grund, sich an das Verfassungsgericht der Russischen Föderation sowie internationale Gerichte zu wenden.

In welchen Ländern gelten ähnliche Einschränkungen?

VN: Eine ähnliche Handlungsweise gab es in den 30er Jahren gegen Nazi-Deutschland in den USA. Es ging damals darum, dass die Nazis sich in den USA aktiv tätig waren, weswegen ein entsprechendes Gesetz dagegen verabschiedet wurde. Gemäß diesem wurden Organisationen gezwungen, sich zusätzlich zu registrieren, die finanzielle Unterstützung aus Nazi-Deutschland erhielten. Das Gesetz war aber im Grunde nur für kurze Zeit in Kraft, es gab einen Versuch, es während der McCarthy-Ära in der Nachkriegszeit zu verwenden. Aber seitdem sind schon 70 Jahre vergangen und sich darauf im heutigen demokratischen Russland zwecks Verabschiedung von Gesetzen zu beziehen, ist schlichtweg inakzeptabel.

 

Aber das NGOs vor Gericht gegen den Staat eine Chance haben, ist schwer zu glauben.

VN: Dennoch muss man im Falle von konkreten Handlungen, die die Rechte der NGOs verletzen, dies vor Gericht anfechten. Und wenn die örtliche Justiz nicht ordnungemäß reagiert, muss man sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wenden, was im Übrigen völlig angemessen ist, zumal Russland ein Mitglied des Europarates ist.

Natürlich kommt Russland nicht immer den Entscheidungen des Gerichtshofs nach und das ist kein gutes Zeichen, vor allem, wenn dies in Zukunft mit der Verabschiedung des Gesetzes über Landesverrat in Verbindung stehen wird. Dann fügt sich die Verfolgung von ausländischen NGOs  in eine logische Reihenfolge ein, weil sie als erster Schritt den Stempel ausländische Agent bekommen, zweitens – Informationsweitergabe, die der Sicherheit des Staates schaden könnten.

Doch das Strafrecht muss sich auf konkrete Formulierungen stützen, die juristisch zu fassen sind, und keine schwammigen allgemeinen Phrasen und beliebig auslegbare Verallgemeinerungen enthalten. Deshalb hoffe ich, gerade als Jurist, sehr, dass das Verfassungsgericht der Russischen Föderation den Gesetzgeber verpflichten wird, diese wirklich antibürgerlichen Gesetze aufzuheben oder sie grundlegend zu ändern.

“Gesetz zur Bekämpfung von Extremismus, über ausländische Agenten, Landesverrat…” wenn man Sie so hört, fühlt man sich in stalinistische Zeiten zurückversetzt, als überall Saboteure, Spione und Provokateure gewittert wurden.

VN: Leider ist diese Analogie sehr treffend.

So hieß es zu Sowjetzeiten in Artikel 58 des StGB der RSFSR der Fassung von 1938:
“Als konterrevolutionär gelten alle Handlungen, die auf die … Schwächung der Regierung… oder auf die Schwächung der Sicherheit der Union Sozialistischer Sowjetrepubliken gerichtet sind.” “Als Landesverrat gelten Handlungen von Bürgern der UdSSR, die die Militärmacht der UdSSR, ihre staatliche Unabhängigkeit oder die Integrität ihres Territoriums schädigen, wie Spionage, Preisgabe von militärischen oder Staatsgeheimnissen, Übertritt zum Feind, Flucht oder Überflug ins Ausland.”

In Artikel 275 des StGB der Russischen Föderation in heute geltender Fassung heißt es:
“Als Landesverrat gelten von einem Bürger der Russischen Föderation begangene Spionage, Preisgabe an eine ausländische Regierung, eine internationale oder ausländische Organisation oder deren Vertreter von Informationen, die als Staatsgeheimnis gelten und der Person anvertraut oder ihr in ihrer Dienst-, Arbeits- bzw. Ausbildungsstelle oder bei anderen Gelegenheiten bekannt wurden, oder aber die Leistung von finanzieller, materiell-technischer, beratender oder sonstiger Hilfe an einen ausländischen Staat, eine internationale oder ausländische Organisation bzw. ihre Vertreter in deren Tätigkeit, die gegen die Sicherheit der Russischen Föderation gerichtet ist.”

Zwar gibt es im heutigen Gesetz den “Überflug ins Ausland” noch nicht, dafür gibt es aber “sonstige Hilfen”, was es zur Zeit der Massenrepressionen im Gesetz nicht gab.

Das bedeutet demnach, dass man, wenn man es wollte, auch unser beider Treffen hier einstufen könnte als Kontakt mit dem Ziel …

VN: Ich hoffe doch nicht. Wir sind keine “ausländische Agenten”, erhalten keine finanzielle Hilfe aus dem Ausland, usw. Doch die allgemeinen Formulierungen des Gesetzes bieten einen breiten Spielraum für ihre Auslegung und Anwendung. Daher könnte unter bestimmten Umständen auch unser harmloses Gespräch hier entsprechend interpretiert und ausgelegt werden.

 

Reicht allein schon der bloße Verdacht aus, eine Organisation könnte nach dem neuen NGO-Gesetz ein “ausländischer Agent” sein, um sie zu überwachen, ihre Telefone abzuhören?

VN: Ich möchte kein Prophet im eigenen Land sein und ich hoffe, dass es so etwas nicht geben wird, aber die potentiellen Bedingungen dafür sind geschaffen.

Wenn man sich an Sie als Anwalt mit solch einem politischen Fall wenden würde, wie würden Sie die Verteidigung aufbauen?

VN: Natürlich würde ich den Fall annehmen, alle gesetzlichen Möglichkeiten und Methoden ausschöpfen, um das Gericht davon zu überzeugen, dass eine politische Verfolgung ebenso wenig rechtmäßig ist wie die breite Auslegung des Strafrechts auch, würde mich auf die Meinungsfreiheit beziehen, auf das Recht eines jeden auf seine eigene Meinung, sein eigenes Urteil.

 

Könnte es zu einer Art externer Intervention im Falle von massiven staatlichen Menschenrechtsverletzungen kommen?

VN: Solange Russland Öl und Gas pumpt, über Atomwaffen verfügt, ist es ein unabhängiger Partner im internationalen Spiel. Es kann sich erlauben, Vertretern der westlichen Welt, die in Fragen der Menschenrechte nach Art der “Magnitski-Liste”(1) mit dem Fingerzeig drohen, nicht zu entsprechen. Doch dabei würde Russland niemals Zielobjekt einer aktiven ausländischen Expansion werden. Russland droht in diesem Sinne keine Intervention.

Das russische Volk hat Rechte, die in internationalen Menschenrechtspakten und in der Russischen Verfassung verankert sind, und es muss diese Rechte mit eigener Kraft auf rechtmäßigem Wege schützen. Und das ist auch richtig so – das Volk muss seine Freiheit selbst erlangen und schützen wollen, Handlungen von außen sind immer kontraproduktiv.

Wobei, selbstverständlich, auch andere Länder das Recht auf eigene Meinung haben, auf eine objektive Einschätzung der Situation in Russland, und auch das ist richtig so. Analog hat auch Russland das Recht auf sachliche Kritik an anderen Ländern. Und solche Fakten müssen sachlich und ruhig gehandhabt werden, dürfen keine Grundlage für einen Sauerteig-Patriotismus sein, sie sollten zu einer ausgewogenen Beurteilung und Verbesserung der vorhandenen negativen Erscheinungen oder Tendenzen führen.

Eine solche Art von Kritik schätzt auch die moderne russische Gesellschaft. Gut ausgewogen. Die kritischen Äußerungen gegen die Regierung, die das russische Model, Natalia Perewersewa(2),  (“Miss Moskau 2010” und “Schönheit Russlands 2011”) in einer insgesamt positiven Rede beim internationalen Schönheitswettbewerb aussprach, verletzten weder die Würde Russlands, noch seine sogenannten “wahren Patrioten”. So waren 97 %  der Internet-Nutzer und eine Reihe von Blogs solidarisch mit ihrer Einschätzung.

Auch darum bin ich von der Unumkehrbarkeit der demokratischen Prozesse überzeugt und glaube an die demokratische Zukunft Russlands, an einen Sozialstaat, wo die Rechte von Alleinerziehenden, Alten, Behinderten und Minderheiten wirklich geschützt werden. Die Aufgabe der NGOs ist es, die Rechte aller Bürger zu schützen und die Ablehnung dieser besagten antibürgerlichen Gesetze durch die Gesellschaft und deren Abschaffung zu erreichen.

Zeichenerklärung

(1) Die “Magnitski-Liste” 

Sergej Magnitski

Benannt nach Sergej Magnitski, der am 16.11.2009 im Alter von 37 Jahren nach knapp einem Jahr Untersuchungshaft infolge folterähnlichen Haftbedingungen verstorben war.

Magnitski war als Wirtschaftsprüfer und Jurist für die Moskauer Filiale des britischen Investmentfonds Hermitage Capital und die Beratungsgesellschaft Firestone Duncan tätig, die ausländische Investoren nach Russland lockten, immenses Kapital in die russische Wirtschaft investierten, exakt Steuer an den russischen Staats abführten, sich aber auch vehement und nachdrücklich für Transparenz in den wirtschaftlichen Beziehungen in den russischen Firmen einsetzten, in die Hermitage Capital investierte.

Im Juni 2007 erschien in den Büroräumen des Investmentfonds eine Abordnung von Beamten des Innern und der Steuerbehörde und beschlagnahmten die gesamte Dokumentation und Firmenstempel – angeblich wegen Steuerhinterziehung. Hermitage Capital Management musste seine Tätigkeit in Russland einstellen.

Durch detaillierte Recherchen fand Sergej Magnitski heraus, dass die involvierten Beamten sowie Staatsdiener höherer Ebenen anschließend die Dokumentation fälschten und das Kapital des Hermitage-Fonds in Höhe von 5,4 Milliarden Rubel (230 Mio. US-Dollar) auf private Konten umgeleitet hatten.

Nachdem er dagegen klagte und die korrupten Beamten namentlich aufführte, wurde er am 24.11.2008 wegen angeblichen “Steuerhinterziehung” verhaftet. In seinen Tagebuchnotizen, die nach seinem Tod in die Öffentlichkeit gelangten, hielt er nicht nur die grausamen Haftbedingen und Misshandlungen fest, denen er ausgesetzt wurde, sondern erstellte eine Liste mit Namen aller Personen, die verantwortlich für den Niedergang des Hermitage-Investmentfonds, seine Verhaftung und seinem möglichen Tod sind.

Diese Namensliste, die 60 Mitarbeiter des Innern, der Steuerbehörde, des FSB-Geheimdienstes, der Generalstaatsanwaltschaft und Justizministeriums Russlands enthält, wird seitdem international die “Magnitski-Liste” genannt.

Anfang September 2012 verhängte Großbritannien ein Einreiseverbot gegen diese 60 russischen Staatsbeamten, am 23. Oktober stimmte das Europäische Parlament für die Einführung von Sanktionen gegen diesen Personenkreis, am 6. Dezember folgte der US-Kongress mit der Verabschiedung eines sogenannten “Magnitski-Gesetzes”.

Bei Russlands Präsident Putin und Premierminister Medwedew stieß dies auf harsche Kritik begleitet mit der Drohung, entsprechend darauf zu “antworten”. Bereits 2010 erhielten Beamte des Innern und der Staatsanwaltschaft, die im Fall des Hermitage-Investmentfonds und in Magnitskis Strafverfolgung aktiv tätig waren, Auszeichnungen und wurden mit höheren Posten bedacht. Am 28.11.2012 hat die russische Generalstaatsanwaltschaft sogar Anklage wegen “Steuerhinterziehung” gegen den seit drei Jahren toten Sergej Magnitski erhoben.

(2) Natalia Perewersewa

Natalia Perewersewa

24 Jahre alt, Russlands Schönheitskönigin, sagte am 16. November 2012 in ihrer Vorstellungsrede vor der Jury des Schönheitswettbewerbs für “Miss Earth” auf den Philippinen, wörtlich:

” … Ich war noch immer stolz auf das Land, in dem ich lebe. Ich kann mir nicht vorstellen, ohne es zu leben. Mein Land – das ist alles, was ich habe, sind die Menschen, die ich liebe, ist alles, was mir lieb und teuer ist. Mein Russland – das ist ein schönes majestätisches Mädchen, vollblutig, rotwangig, in einem bestickten Sommerkleid, mit einem langen und dicken Zopf, in dem bunte Bänder eingeflochten sind.

Aber mein Russland  ist auch ein armes, riesiges, leidendes Land, gnadenlos zerfleischt von gierigen, unehrlichen, ungläubigen Menschen. Mein Russland ist eine große Ader, aus der einige “Auserwählte” Reichtum absaugen. Mein Russland ist ein Bettler! Mein Russland kann weder Alten noch Waisen helfen. Aus meinem ausblutenden Russland fliehen Ingenieure, Ärzte, Lehrer wie von einem sinkenden Schiff, weil sie nichts zum Leben haben.

Mein Russland – das ist ein endloser kaukasischer Krieg. Es sind diese verbitterten Brüder-Nationen, die früher die gleiche Sprache sprachen, deren Erlernen heute in den Schulen aber verboten wird. Mein Russland ist ein Sieger, der den Faschismus stürzte und seinen Sieg mit Abermillionen Menschenleben bezahlte. Sagt mir, wieso und nur warum der Nationalismus in diesem Land blüht?

Mein teures, armes Russland. Und du lebst und atmest noch immer, du hast der Welt schöne und talentierte Kinder geschenkt – Jessenin, Puschkin, Plissetskaja. Die Liste ließe sich über Seiten hinweg fortführen und jeder darin ist ein Goldstück, ein Geschenk, ein Wunder. Russland, ich bin glücklich, Deine Bürgerin zu sein! Trotz aller Tränen, Trauer, trotz der Kriege, Invasionen, unabhängig davon, wer Russland regiert, ich bin noch immer stolz, dass ich in diesem großartigen und wunderschönen Land geboren bin, das der Welt so viel gegeben hat.

Ich bin stolz auf meine Heimat seiner Gnade, seines Heldentums, seines Mutes, seiner Tüchtigkeit wegen, stolz auf sein Erbe, dass es der Welt hinterlässt, auf  Menschen, die füreinander da sein können. Ich glaube, dass jeder Mensch, der in Russland lebt, so sein sollte. Es gibt Momente, vor denen wir die Augen schließen und nicht hinsehen möchten. Jeden Tag sind wir mit Sachen konfrontiert, die unschön für uns, ungesund für unsere Heimat sind. Doch nur wir selbst können die Situation verbessern. Wenn wir ernsthaft anfangen, uns um unser Land zu kümmern, wird es blühen und gedeihen. …”